„Die Räuber“: Freiheit im Extrem

Der Schlachtruf lässt keine Kompromisse zu. „Tod oder Freiheit“, brüllen die Räuber aus Schillers gleichnamigem Drama in der Bonner Inszenierung von Regisseur Simon Solberg den Dragonern entgegen, die sie in den böhmischen Wäldern eingekesselt haben und für ihre Verbrechen zur Rechenschaft ziehen wollen. Dabei wollten die jungen Männer und Frauen doch nur leben, auf ihre Weise und nicht so, wie es Eltern und Gesellschaft von ihnen verlangen. Und sie wollten die Welt ein bisschen besser machen, wollten sich gegen Korruption und Machtmissbrauch stellen, so wie einst Robin Hood und seine wackeren Mannen. Ach, wenn es doch so einfach wäre. Denn wie schnell führt ungezügelte Freiheit zu Anarchie, weil jeder seinen Gelüsten freien Lauf lassen kann, ohne sich um Konsequenzen zu scheren. Diese Problematik hat „Die Räuber“ schon immer geprägt und macht das Stück daher auch heute so aktuell wie eh und je. Solberg hat den Stoff nun mit einer modernen Bildsprache versehen – und ihm damit die rohe Kraft wiedergegeben, die der rebellische Text verdient.

Anpassen will sich in dieser Inszenierung niemand. Alle begehren sie auf gegen die vermeintlichen Marionettenfäden der sie einengenden Gesellschaft, Karl Moor als Rebellenführer ebenso wie seine Kumpane und die ihn liebende Amalia. Selbst Franzi (bei Solberg Schwester statt Bruder Karls) wütet auf ihre Weise, nachdem sie von ihrem Vater kategorisch ignoriert wird, mit Anbiederung nicht weiterkommt und sich dessen Aufmerksamkeit und ihren Platz in der Welt daher kurzerhand mit Intrigen erobert. Sie ist die große Manipulatorin, die falsche Schlange, die hinter den Kulissen agiert und sich zur Macht windet, während ihr Bruder lieber auf die Straße geht und sich schließlich radikalisiert. Ja, seine Motive mögen ehrenwert sein – aber die seiner Gefolgsleute sind es nicht. Das blinde Vertrauen in das Edle im Menschen rächt sich am Ende und zerstört weit mehr als nur eine Familie.

Doch schon zu Beginn der aufmüpfigen Phase entleert sich die Wut der Räuberbande auf die Normen und Zwänge in explosiven Tanzeinlagen. Da hämmert die Musik aus den Boxen, mal aus der elektronisch geprägten Hardcore-Ecke stammend und sich dann wieder bei Rammstein bedienend, während das Ensemble zu furiosen Choreographien über die Bühne wirbelt. Warum die Schauspieler allerdings auch ansonsten ihren Bewegungsdrang kaum unter Kontrolle haben und es mitunter mit ihrer Hampelei übertreiben, steht auf einem anderen Blatt. Unstrittig ist, dass die frische, durch pop-kulturelle Anspielungen erweiterte zweistündige Inszenierung eine enorme Wucht erhält, die durch das phänomenale Zusammenspiel von Bühnenbild (Simon Solberg) und herausragendem Lichtdesign (Sirko Lamprecht) noch potenziert wird. Auch die Protagonisten sprühen vor Energie: Daniel Stock spielt den zu extremen Mitteln getriebenen Anti-Helden Karl, der an der Verantwortung für die Gräuel seiner Räuber zerbricht, mit enormer Dynamik, während Annika Schilling als Franzi herrlich diabolisch wirkt und doch Verständnis für ihre Position zu erwecken versteht. Überaus eindrucksvoll zudem Wilhelm Eilers als der alte Moor, der als Tyrann ebenso überzeugt wie als gebrochener, gramgebeugter Vater. Allein dafür lohnt sich ein Besuch im Schauspiel Bad Godesberg, zumindest sofern man sich nicht von der Urgewalt der Ton- und Bildsprache abschrecken lässt. Vor allem ein jüngeres Publikum dürfte sich in dieser Fassung aber allemal wiederfinden. Ja, so unverbraucht kann Schiller sein. Man muss sich nur trauen.

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