So kennt man Dieter Thomas Kuhn eigentlich nicht: Die blonde Tolle ist einer Wuschelmähne gewichen, der Glitzerfummel dem Jeans-Look – und der Schlager dem Rock. Ja, der Messias des deutschen Gute-Laune-Schalalalalas und Hohepriester des Kitsch wandert auf neuen Pfaden. Und die klingen gut. Sehr gut. Denn hinter der satirisch überhöhten „singenden Föhnwelle“ mit dem Brusthaar-Toupet verbirgt sich ein Vollblut-Musiker, der weitaus mehr kann, als er in den Sommerfesten der öffentlich-rechtlichen Hitparaden erkennen lässt.
Mit seinem neuen Projekt, der „Grave Chapel Radio Show“, kann er dies nun unter Beweis stellen. In dieser verbeugt sich Kuhn nämlich ebenso ehrerbietig wie eindrucksvoll vor seinen musikalischen
Helden, vor all den Legenden des Rock und Pop, die inzwischen von uns gegangen sind: David Bowie und Rio Reiser, Elvis Presley und Marvin Gaye und Lou Reed und Janis Joplin und so viele mehr.
Ihnen allen bereiten Kuhn und seine exzellente Band einen Gedenkgottesdienst der besonderen Art, den sie nun auch im Pantheon feierten und damit das Publikum restlos begeisterten.
Schon länger wollte Kuhn auch abseits des Klamauk bestehen, versuchte sich an einem ernsten Singer-Songwriter-Album („Kuhn null/eins“) und einer Johnny-Cash-Hommage, beides nur mit mäßigem
Erfolg. Die „Songs from above“ sind nun der nächste, mutigste und großartigste Versuch des 54-Jährigen, aus der Enge des selbstgeschaffenen Klischees auszubrechen. Zusammen mit seinem
langjährigen Begleiter Philipp Feldtkeller, der an der Geburt der Kunstfigur Dieter Thomas Kuhn maßgeblich beteiligt war, und dem holländischen Gitarrenbauer und Sänger Rudie Blazer hat er sich
an die Hits von Legenden gewagt – und zeigt, was wirklich in ihm steckt. Nämlich ein Sänger, der Gary Moores „Still Got The Blues“ so wunderbar kernig und so immens intensiv interpretiert, dass
man unweigerlich eine Gänsehaut bekommt. Einer, der kurz darauf Whitney Houstons unglaublich schmalziges „I Will Always Love You“ auf seine Weise umsetzt und zwar nicht so hoch, aber mindestens
genau so eindringlich wirkt wie die große Diva. Und einer, der im Laufe des fast dreistündigen Konzerts immer wieder aufs Neue zu überraschen und zu begeistern versteht.
Das Repertoire der Band ist dabei immens: „Space Oddity“ erklingt, „Light My Fire“ und „Junimond“, „Sexual Healing“ oder auch „Ella, elle l'a“. Längst nicht jeden Titel stimmt Kuhn selbst an,
gerne lässt er auch andere ins Rampenlicht treten: Rudie Blazer zum Beispiel, der sowohl als Moderator als auch als Lou-Reed-Interpret brilliert; oder auch die beiden Powerfrauen und Rockröhren
Marion Welch und Anya Mahnken. Letztere geht zwar ausgerechnet bei „All Along The Watchtower“ ein wenig zu brachial zu Werke, kann aber an anderer Stelle um so mehr überzeugen. Auch die anderen
Musiker setzen eindrucksvolle Akzente, insbesondere Padal-Steel-Gitarrist Winfried Wohlbold, der für nahezu alle Soli verantwortlich ist und etwa bei „Purple Rain“ die Instrumentalpassagen so
souverän beherrscht, dass es ein Genuss ist.
Zugegeben, nicht jedes Stück ist auf dem gleichen Niveau, manche Country-Blues-Arrangements dann doch ein wenig zu formelhaft. Andererseits bemühen sich Kuhn und Co zumindest, jedem Künstler
gerecht zu werden. Und in den besten Momenten gelingt dies meisterhaft. Vor allem am Ende: Da schmettert Dieter Thomas Kuhn voller Inbrunst ein „With A Little Help From My Friends“, seinen
Mitstreitern für diese Gelegenheit dankend – und diese danken es ihm mit einer Version von Leonard Cohens „Hallelujah“, bei der sowohl die beiden Sängerinnen als auch Blazer und Kuhn noch einmal
strahlen können. Was für eine Meisterleistung. Diese Huldigung an den Pop ist auf jeden Fall gelungen.
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