Lars Reichow: Eine lustvolle Predigt

„Verzicht ist kein guter Ratgeber“, schallt es von der Bühne des Pantheons. Eine kühne These, vor allem von einem Kardinal und vatikanischen Nuntius. Andererseits wirf dieser Geistliche mit der Vorliebe für Hochgeistiges ohnehin sämtliche Einschränkungen des Klerus über den Haufen. Hat sich doch eh nie jemand dran gehalten. Dann kann man doch auch dazu stehen und die Gemeinde zum Genuss bekehren. Dumm nur, wenn man diese satirische Mission mit einem derart karnevalistischen Pathos verfolgt, dass jeglicher Konflikt schon von vornherein den Weg alles Irdischen geht. Die sorgsam ausgearbeitete Nummer fällt so in sich zusammen – und Lars Reichow gleich mit. Denn so stark der 55-Jährige als Musikkabarettist auch ist, setzt er doch in seinen Wortbeiträgen oftmals auf die falsche Tonart, verdreht die Vorzeichen oder lässt die nötige Dynamik vermissen. Schade, zumal Reichow an sich einiges zu sagen hätte.

Wie tiefsinnig Reichow sein kann, offenbart sich vor allem in seinen poetischen und mitunter durchaus politischen Chansons. Da mahnt er vor den am Fenster vorbeilaufenden Nazis, philosophiert er über das Wesen des Menschen oder singt mit seiner rauchigen Stimme gefühlvolle Liebeslieder. Warum er allerdings „Je t'aime“ verhunzen muss, nur um sich über einstige und aktuelle Politiker aus Deutschland und Frankreich lustig zu machen, über „Emanuelle Macron“ und „Madame Hollandaise“ zu kichern und sich Angela Merkel im Bikini vorzustellen, während er selbst erregt ins Mikrofon stöhnt, erschließt sich nicht. Ja, das Programm trägt den Titel „Lust“, aber muss man dafür derart tief in die Kiste mit den abgelegten Klischees aus den 80er Jahren greifen und sich zu despektierlichen, persönlichen Angriffen verleiten lassen? Ohnehin ist diese Tendenz Reichows größte Schwäche: Auch bei der vermeintlichen Analyse der politischen Parteien vermeidet er eine Auseinandersetzung mit den Inhalten und arbeitet sich stattdessen am Personal ab. So verlacht so manchen CSU-Politiker als „erbärmliches Wichtelmännchen“ oder wirft den SPD-Granden ihre perfektionierte Intriganz vor, ohne diese Vorwürfe auch nur ansatzweise zu unterfüttern. All das ist Stammtisch-Palaver im Kabarett-Gewand, eher peinlich und vor allem irritierend angesichts der feinsinnigen Lieder aus der selben Feder.

Etwas besser wird es immer dann, wenn Reichow den Fokus verschiebt und von seiner Familie samt aufgenommenem Straßenköter Orban erzählt, dessen Bissigkeit die Kinder in den Haushalt der Großeltern getrieben hat und der doch so wichtig geworden ist, dass sich Herrchen und Frauchen inzwischen in so ziemlich jeder Hundeschutz-Organisation engagieren. Ob das peinlich sein soll? Wer weiß, da die Schlusspointe völlig ins Leere läuft; andererseits kann Reichow so nur sich selbst vorführen und nicht etwa andere. Oder er singt wieder. Das versöhnt. Das Publikum bejubelt ihn nichtsdestotrotz in allen Momenten und signalisiert, dass es durchaus Lust auf mehr hat. Irgendwann bestimmt. Mit oder ohne Orban.

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