„Der Postillon“: Überzeichnete Wahrheiten

Manchmal, wenn selbst der lauteste Aufschrei verklungen ist und sich dennoch nichts zu ändern scheint, hilft nur noch Zynismus. Und Satire. Wie sonst kann man eine Welt verstehen, in denen Milliarden Menschen jeden Tag süße Katzenbabyvideos anschauen, bei Meldungen über ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer aber abschalten? Der Postillon kennt die Antwort. Und die Lösung. Wie das wahrscheinlich seriöseste deutschsprachige Nachrichtenmagazin nun vermeldet, packen clevere Schlepper inzwischen auch posierlich schnurrende und kläffende Fellbündel in die Flüchtlingsboote, um so die Chance auf eine Seenotrettung zu erhöhen. Immerhin kann der durchschnittliche Europäer zwar den großen Augen der Hilfsbedürftigen widerstehen, nicht aber den Blicken niedlicher Jungtiere. Klingt bitter? Ist es auch. Aber wahr. Und gerade deshalb die intensivste Form der Satire, die jetzt in der Oper Bonn über 90 Minuten ausgebreitet worden ist.

Im Internet hat „Der Postillon“ mit seinen teils bissigen, teils albernen Meldungen längst Kultstatus erreicht, nun wagt das Magazin den Schritt von der digitalen in die reale Welt. Im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ präsentieren die beiden Moderatoren Anne Rothäuser und Thieß Neubert ihre Liveshow, ganz im Stil der Tagesthemen: Zwei Sprecherpulte, eine Videoleinwand und eine weitgehend ungerührte Mimik, ob die Themen diese nun verlangen oder nicht. Im Postillon-Konzept gibt es schließlich beides, Blödsinn in ernsthaftem Gewand ebenso wie Wahrheiten in gnadenloser Überzeichnung. Ersteres wirkt allerdings manchmal ein wenig zu bemüht, wenn etwa die boulevardesken Tragödien mit den Opfern des Alltags, die vor allem in Zeiten mit mauer Nachrichtenlage gerne mal aus dem Hut gezaubert werden, endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben werden. So wie der Fall des Motorradfahrers, der nach einem Unfall auf einer Verkehrsinsel strandet und erst nach 20 Jahren gerettet wird; oder der der Mutter, die nach der Geburt ihres Kindes im Krankenhaus vertauscht wird und unwissend in der falschen Familie lebt. Abstruses Kino, aber leider oft mit etwas zu schwacher Pointe. Dann doch lieber richtig verrückt, so wie bei dem um 360 Grad gedrehten Kölner Dom, oder eben kurz und knackig wie in den beliebten Einzeilern, die der Postillon fast schon im Sekundentakt über den Äther schickt. „Rausgeworfenes Geld: VHS-Kurs Papierflieger basteln aus Banknoten“, „Hier gibt's nichts zu sehen: Polizei sperrt Darkroom nach Unfall ab“ - das ist schon klasse. Zumindest dann, wenn die Leichtigkeit sieht und nicht das bemühte Konstrukt („Kann er sich ohne Waitress leisten: Pub-Besitzer spart Personalkosten“). Am stärksten ist der Postillon jedoch immer dann, wenn er dafür sorgt, dass dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt, etwa wenn von Mobbing unter den Kinderarbeitern von Bangladesch berichtet wird, weil einige nicht für Markenhersteller, sondern lediglich für Kik im Akkord nähen. Das ist Satire in Perfektion. Humor, der weh tut und Missstände offenbart. Ganz große Kunst.

Um das Postillon-Format auf abendfüllende 90 Minuten auszudehnen, haben sich die Satiriker einiges ausgedacht. Video-Reportagen, auf Grund von Zeitungsberichten nachträglich eingefügte Straßenumfragen, Meldungen und mehr belustigen das Publikum. Dennoch sind die dramaturgischen Mittel begrenzt, so dass sich die Show vor allem in der zweiten Hälfte ein wenig im Kreis dreht und Ermüdungserscheinungen offenbart. Dennoch bringen Rothäuser und Neubert den Abend zu einem befriedigenden Ende. Länger dürfte die Show definitiv nicht sein. Wer aber einmal das gesamte Repertoire des Postillons hautnah erleben möchte, sollte sie sich dennoch nicht entgehen lassen.

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