Walter Ullrich: Das Ende einer Ära

Es ist schon ein bemerkenswerter Abschied: Mit Walter Ullrich tritt der dienstälteste Intendant eines deutschen Theaters endgültig ab. Mehr als 60 Jahre lang war er eine Institution, war er Geist und Seele des Kleinen Theaters Bad Godesberg und seit 1979 auch des Neuwieder Schlosstheaters. Jetzt hört er auf. Endgültig. Mit 88 Jahren verabschiedet er sich von dem Haus im Godesberger Stadtpark, nicht jedoch ohne sich noch einmal in eine seiner Lieblingsrollen zu stürzen: Den Faust. Immer wieder stand Goethes Drama auf dem Spielplan, diesmal in einer reduzierten, vom Prinzipal selbst inszenierten Version, ohne die wilden Tage des durch mephistophelische Zauberei verjüngten Gelehrten. Den würde man Ullrich auch bei aller Schauspielkunst nicht abnehmen. Den alten Suchenden aber, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, den beherrscht er meisterhaft. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“, sagt er. Und zeigt auf eindrucksvolle Weise, was das für ihn bedeutet.

Die Lust am Theater hat Ullrich stets geprägt. Schon mit drei Jahren stand er erstmals auf der Bühne, wollte nie etwas anderes machen als spielen. Mit der Leitung des Kleinen Theaters hatte er sich damit in gewisser Weise selbst einen Strich durch die Rechnung gemacht, war er doch auf einmal ebenso sehr Verwaltungsmensch wie Künstler. Andererseits hatte er so die Freiheit, immer wieder auf die Bretter zu steigen, die die Welt bedeuten. Und zwar auf seine eigene Weise, ohne die großen Verfremdungen des modernen Regietheaters. Ullrich wollte den Texten treu bleiben, auch und vor allem den Klassikern. Ein Ansatz, den man bei den „Faust“-Szenen deutlich spürt. Ullrich scheint jedes Wort zu genießen wie einen guten Wein, bevor er sie – gefiltert durch seine eigene Erfahrung – in den Saal entlässt und dabei selbst in den Momenten größter Resignation eine ungeheure Energie aufweist. Ja, mit dem Laufen und Stehen hat er so seine Probleme, schon seit Jahren, aber sprechen kann er noch, und damit spielen. Vor allem, wenn ihm mit Folker Bohnet ein langjähriger Kollege gegenübersteht, der in seiner offenbar von Gustav Gründgens inspirierten Mephisto-Maske überaus agil ist und sich seine 81 Jahre nicht im geringsten anmerken lässt. Eine Meisterleistung.

Auch die anderen Schauspieler verstehen zu überzeugen. Stefan Krause deklamiert gedankenverloren die Zueignung und macht später mit Feuer und Licht seine Aufwartung als Erdgeist, Eva Wiedemann mimt das unschuldige Gretchen (dessen Konflikt man aus dramaturgischen Gründen vorgezogen hat), Regieassisstentin Regina Tempel das scharfzüngige Lieschen. Den braven und ehrlich gesagt recht langweiligen Wagner füllt derweil Karl Heinz Dickmann aus, während Gott nur als Stimme von Claus Wilcke in Erscheinung tritt. Insgesamt ein durchaus lebendiges Ensemble, das allerdings angesichts der gewitzten Dialoge zwischen Ullrich und Bohnet schnell in Vergessenheit gerät. Die beiden gestalten einen Großteil der insgesamt 60 Minuten mit ebenso viel Gusto wie Erfahrung – ja, sie mögen beide zum alten Eisen gehören, aber von Rost kann noch keine Rede sein. Und wer weiß, vielleicht treibt es Ullrich ja doch noch das ein oder andere Mal auf die Bühnen, die er über Jahrzehnte hinweg geprägt hat. Immerhin weiß er inzwischen, dass beide eine Zukunft haben werden: In Neuwied übernimmt Lajos Wenzel, der in der Vergangenheit unter anderem als Künstlerischer Leiter der Kammeroper Köln und als stellvertretender Intendant am Jungen Theater Bonn Erfahrungen in verschiedenen Genres gesammelt hat, während der Schauspieler Frank Oppermann das Kleine Theater führen wird.

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