Wilfried Schmickler: Scharfrichter mit poetischer Ader

Es ist doch alles Mist. Scheiße. Auf gut deutsch, am Arsch! Die Welt steht am Abgrund, die Sprache gleich mit, und der Weg zurück ist durch Ignoranz und Engstirnigkeit versperrt. Immer weiter, volle Kraft voraus in die Kloake aus Nationalismus, Rassismus, Egoismus und sonstigem -ismus, die rechte Politiker von Brasilien über die USA bis hin zu Italien, Polen und Ungarn absondern (von Deutschland ganz zu schweigen) und die viel zu viele Menschen als Taufbecken missbrauchen. Gegen diese Idiotie ist selbst Wilfried Schmickler machtlos. Und das will schon etwas heißen. Immerhin ist er einer der wortmächtigsten deutschen Kabarettisten, ein wahrer Meister der gesellschaftskritischen Poesie und ein Scharfrichter so mancher bornierter Idee. Doch selbst er gesteht in seinem neuen Programm ein: „Es gibt kein Zurück“. Was in manchen Bereichen sicherlich nicht verkehrt ist. Und in anderen ein Desaster.

Thematisch bleibt Schmickler sich treu: Die Digitalisierung ist ihm ein Gräuel, insbesondere der Seelenstriptease vor Datenkraken wie Facebook und Google; gleiches gilt für die mafiösen Strukturen im einst so geliebten Spitzensport, das Oktoberfest mit seiner bajuwarischen Bierzelt-Seligkeit und sämtliche Egoisten, die auf deutschen Straßen so gerne die Einsätze von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst behindern und denen Schmickler daher kurzerhand Hausverbot erteilt. Gleiches gilt für all jene, die gegen Flüchtlinge wettern, obwohl die meisten von ihnen durchaus integrationswillig sind. Etwa ein Großteil jener 69 Afghanen zum Beispiel, die Innenminister Horst Seehofer zu seinem 69. Geburtstag abschieben ließ und deren Schicksale Schmickler bereitwillig aufzeigt. Kurzum, wer von Fremdenhass und Asozialität beherrscht wird, ist bei dem 63-Jährigen nicht willkommen. Dabei müssten gerade jene, die sich freiwillig ihrer Menschlichkeit entledigt zu haben scheinen, das Programm besonders aufmerksam verfolgen – vielleicht kommt es ja doch noch zur Selbsterkenntnis. Sofern sie denn die Verbalattacken Schmicklers ertragen können, die so scharf sind wie eh und je. Insbesondere die AfD regt sein Schmähzentrum an. Und schon schwingt er sie wieder, seine aus Silben des Zorns und Worten der Gerechtigkeit geschmiedete Axt, die gnadenlos jene in den Staub schickt, gegen die Schmickler seit nunmehr 40 Jahren einen kabarettistischen Kreuzzug führt. Wie üblich beschimpft er dabei alle Vertreter des rechten Spektrums, wettert natürlich gegen Höcke und Konsorten, aber auch gegen die FDP, gegen Merkel und gegen Seehofer und gegen die Union politischer Reptiloiden unter der geheimen Führung von Alexander „Mabuse“ Dobrindt.

In diesen Momenten, in denen er eine Breitseite nach der anderen abfeuert, schert sich Wilfried Schmickler nicht allzu sehr um sprachliche Finesse, wohlwissend, dass er wahrscheinlich selbst im Tiefschlaf über einen größeren und vor allem wendigeren Wortschatz verfügt als seine Gegner. Und doch sind es die anderen Beiträge, in denen Schmickler wahrhaft glänzt, jene, in denen er geschliffene Sätze in überragender Präzision führt, in denen er scharf ist und zugleich poetisch. Wenn er Geschichten erzählt vom Krieg der Generationen, bei dem die Jugend mit vergiftetem Essen auf Rädern die Alterspyramide umzustürzen versucht und die in hautenge Radler-Strampler gezwängten Senioren mit Netzausfällen reagieren, ist das Satire vom Feinsten – und wenn er seine Kritik in Verse packt und dabei mehr zu bieten hat als Aneinanderreihungen von Schlagworten, erweist er sich als einer der besten Dichter der deutschen Kleinkunst. Einer, der vieles (wenn auch längst nicht alles) als Mist entlarvt. Aber es eben in den besten Beiträgen anders verpackt.

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