„Endspiel“: Miss Sophies Hölle

Die Hölle, das ist der jeweils andere. Jener, von dem man abhängig ist, ohne den man selbst nichts ist. Nicht Ham, nicht Clov, aber irgendwie doch beide. Das verstörende und dysfunktionale Herr-Diener-Verhältnis zwischen diesen zwei seltsamen Figuren, der eine blind und gelähmt, der andere verkrüppelt und hungernd, hat Samuel Beckett in seinem Einakter „Endspiel“ ins Extrem getrieben – nun hat sich Regisseurin Gabriele Gysi dem Text angenommen und es im Euro Theater Central mit allerlei skurrilen Verschränkungen samt einiger Verbeugungen vor „Dinner for One“ inszeniert. In einer postapokalyptischen Welt halten Ham und Clov an letztlich überholten Ritualen fest, als nihilistische, sich selbst zerfleischende Versionen von Miss Sophie und Butler James gefangen in einem ewigen Kreislauf aus Macht und Demütigung, hohlen Phrasen und resignierter Ablehnung. Eine seltsame Kombination. Aber eine, die aufgeht.

Gysi hat Becketts Text auf die Auseinandersetzung zwischen Herr und Diener reduziert und vor allem Clovs Eltern Nagg und Nell ersatzlos gestrichen. Andererseits erweist sich die verbleibende Figurenkonstellation ohnehin als fließend, was auch daran liegt, dass drei Schauspieler die Dialoge bedienen. Im Mittelpunkt steht Sandra Pohl, die Dame des Hauses, eine Königin in ihrem einsamen Thron und doch den beiden Männern an ihrer Seite ausgeliefert, die zwei Seiten der selben Medaille zu sein scheinen. Richard Hucke und Lucijan Gudelj sind selten in Einklang, drängen in unterschiedliche Richtungen und sind sich nur in der Ablehnung des ihnen aufgezwungenen Spiels einig, das immer wieder die selben Strukturen aufweist: Decken des Tisches, ein Gläschen Wein (gerne auch mal mit verschiedenen Trinksprüchen), dann wieder abräumen. Über den Schneeleoparden auf dem Fußboden stolpert dabei niemand, doch schließlich soll „Endspiel“ auch nicht lustig sein, trotz eines Witzes, mancher bemühter Hampelmannpassagen und der ein oder anderen (schiefen) Gesangseinlage, die mehr Verzweiflung denn Leidenschaft ausstrahlen.

 

Vielmehr evoziert die Inszenierung mit ihren ständigen Wiederholungen und den Machtspielchen zwischen den Figuren mitunter Reminiszenzen an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ – ein Stück, das zu den Dauerbrennern des Euro Theaters gehört. Wenn Clov einmal mehr das Porzellan holt, statt sich aus dem sklavischen Hamsterrad zu befreien, sich also selbst wieder in die persönliche Hölle fügt, obwohl er kurz zuvor noch Ham im wahrsten Sinne des Wortes zum begossenen Pudel gemacht hat, scheint ein ähnlicher Mechanismus zu herrschen wie in der besagten infernalischen Notgemeinschaft. „Also, machen wir weiter“: Dieser Satz könnte ohne weiteres aus beiden Werken stammen. Allerdings ist Gysis „Endspiel“ längst nicht so bedrückend und diabolisch, könnte tatsächlich noch weitaus mehr Düsternis vertragen, als die Regisseurin zulässt. Dennoch überzeugt die Inszenierung durch gute Schauspieler und einige geschickte Einfälle, die über Beckett hinausgehen und dem Stück dadurch eine spannende neue Lesart verleihen. Zu Recht gab es daher bei der Premiere nach 70 intensiven Minuten kräftigen, langanhaltenden Applaus.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0