„Fashion“: Der Stoff, aus dem Träume sind

Die schöne Welt der Mode ist letztlich nur eine Illusion. Prêt-à-porter ist per se immer auch eine Überzeichnung der Wirklichkeit, zeigt im Licht des Artifiziellen das, was sein könnte, aber für den Alltag schlichtweg ungeeignet ist. Dieses Konzept hat sich nun auch das GOP Bonn zu eigen gemacht: Das Varietétheater kreiert mit seiner aktuellen Show „Fashion“ phantastische Bilder, zeigt atemberaubende Akrobatik und extravagante Kostüme, überflutet das Publikum geradezu mit optischen Reizen und verharrt doch stets in der Künstlichkeit. So verharrt das Publikum bei allem Staunen doch an der Oberfläche, taucht nicht ein in eine poetische, magische Welt, sondern bleibt distanzierter Beobachter einer auf Optik getrimmten Show. Was vielleicht sogar das Ziel des Ganzen ist.

Ein visuelles Erlebnis der Extraklasse ist „Fashion“ auf jeden Fall. Ohnehin versteht sich das GOP ja bestens darauf, eindrucksvolle Inszenierungen zu schaffen, selbst wenn bemüht lustige Moderatoren den Abend in erster Linie zur Selbstdarstellung nutzen; entfällt dies wie in diesem Fall, blühen die Programme in aller Regel erst so richtig auf. Zur Überbrückung dienen stattdessen durchchoreographierte Tanzeinlagen sowie Auftritte des russischen Vater-und-Sohn-Duos Anton und Viktor Franke, das mit einer Mischung aus Comedy, Zauberei und Jonglage immer wieder überrascht. Vor allem die schwungvolle Nummer mit einem gefüllten Wasserglas, das dank der Fliehkraft der Schwerkraft trotzt, sorgt beim Publikum für Begeisterung. Gleiches gilt für den Handstand-Künstler Sergii Ivanov, der mit seinem ebenso rasanten wie kraftvollen Beitrag und seinem durchtrainierten Oberkörper vielleicht nicht bei allen, wohl aber bei vielen Damen (und einigen Herren) Begehrlichkeiten weckt. Dabei geben in der Regel die weiblichen „Models“ den Ton an, etwa die ein einem roten Traum von Nichts gekleidete Vertikaltuch-Künstlerin Kateryna Gurina, die aus der Luft ein knisterndes Duett mit Breakdancer Daniil Zhydkov tanzt, oder die 21-jährige Luftring-Artistin Yelyzaveta Krutikova. Auch die Partnerakrobatik von Oleksandr Shpyn und Yelyzaveta Vasylyha sorgt mit ihrer Mischung aus Kraft und Erotik für Begeisterung.

So spektakulär diese Beiträge auch sind, stehlen letztlich doch zwei Herren allen anderen die Show: Zum einen Anton Shcherbyna mit einem grandiosen Balance-Akt auf mehreren übereinandergestapelten Rollen, bei dem zu allem Überfluss auch noch ein Springseil zum Einsatz kommt; zum anderen Pole-Künstler Alexey Bitkine, der scheinbar mühelos einen Mast erklimmt, sich mit enormer Körperspannung in die unglaublichsten Posen bringt und dann wieder gen Boden stürzt, nur um sich im letzten Moment zu fangen. Phänomenal. Was für ein Timing, was für eine Power – und was für eine Leichtigkeit. In diesen Momenten fiebert das Publikum unweigerlich mit, hält die Luft an, ist der Magie des Varietés verfallen und feiert ein junges Ensemble, das mit Ausnahme der beiden Entertainer komplett aus dem ukrainischen Circus-Theater „Bingo“ rekrutiert wurde.

Letztlich mag der ein oder andere Besucher vielleicht jene Poesie vermissen, die andere GOP-Shows mitunter auszeichnen – bombastische Bilder sind dagegen garantiert. Die durchweg energiegeladenen Performances zu wilder Rock-Musik, zum Teil sogar live eingespielt, trugen auf jeden Fall bei der Premiere ihren Teil dazu bei, dass die Menge im Saal tosenden Applaus und stehende Ovationen spendete und sich letztlich von einer künstlichen, aber nichts desto trotz faszinierenden Ästhetik verzaubern ließ.

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