Wladimir Kaminer: Syrealistische Sehnsüchte

Das Paradies ist grundsätzlich woanders. Immerhin soll es der Ort sein, an dem Träume wahr werden, an dem alles besser, schöner, friedlicher und bequemer ist als zu Hause. Irgendwo in der Ferne muss es liegen, draußen im Außergewöhnlichen und Unbekannten, jenseits der kalten Tristesse des Alltags, der man zu entfliehen versucht. Für die meisten Europäer liegt das Paradies in der Südsee, doch weil die dann doch recht weit weg ist, genügt auch das Mittelmeer. Da kann man sich einfach treiben lassen, schlemmen bis zum Umfallen und einen Cocktail nach dem anderen schlürfen. Wer will da schon nach Deutschland? Außer den Flüchtlingen natürlich, die sich im gelobten Land eine Zukunft erhoffen.

Diese Diskrepanzen um exotische Wünsche und „syrealistische“ Sehnsüchte greift nun Wladimir Kaminer bei seinem Besuch im Pantheon auf, indem er Geschichten aus seinem aktuellen Buch „Ausgerechnet Deutschland“ mit bislang unveröffentlichten Betrachtungen von einem Kreuzfahrtschiff verknüpft. Was dank des trockenen Humors des Autors (unter anderem „Russendisko“) hervorragend funktioniert.

Kaminers Ausführungen über freiwillig und unfreiwillig Reisende sind im gleichen Moment unterhaltsam und bedrückend. Während die Touristen in einer Mischung aus Weltuntergangsstimmung und Partylaune die Nacht zum Tage machen und bei einem Ausflug zum antiken Olympia mit Göttergestalten fotografieren lassen, skizziert der 50-Jährige die Folgen von Globalisierung und Völkerwanderungen, mit dem einen Auge zwinkernd und mit dem anderen analysierend. Natürlich greift er zu satirischen Überhöhungen, wenn er etwa mit Klischees über trinkfreudige und Pelze liebende Russen spielt – andererseits beinhalten seine Worte über die Vorliebe für Ketten durchaus mehr als eine Lesart. Ohnehin gilt es, jeden Satz zu hinterfragen, der durch das Pantheon weht, ihn sich auf der Zunge zergehen zu lassen und die Süße und die Bitterkeit gleichermaßen herauszuschmecken. So hat die Sorge der Griechen vor den Syrern – die sich dann doch häufiger mal als Afghanen oder Iraker entpuppen – angesichts einer am Boden liegenden Wirtschaft und hoher Arbeitslosigkeit durchaus einen ernsten Hintergrund, auch wenn Kaminer dies mit Pointen garniert. Gleiches gilt für die Integrationsbemühungen in der brandenburgischen Heimat, die zwar „ein großer Spaß“ waren, aber nicht wirklich nachhaltig, suchen die Flüchtlinge doch ihr Glück lieber in der großen Stadt. Oder, in Ermangelung selbiger, eben in Cottbus.

Obwohl Wladimir Kaminer derzeit so politisch klingt wie noch nie zuvor, lässt er sich doch nicht davon abbringen, auch von seiner Familie zu erzählen, so wie er es schon in früheren Büchern getan hat: Von seiner Frau Olga mit dem grünen Daumen, die sich für die Multikulturalität in der brandenburgischen Gartenwelt einsetzt und von überall Ableger mitbringt, selbst wenn sich diese als Plastikfarne entpuppen; von seiner vielsprachigen Tochter, die ihre Italienischkenntnisse in der Pizzeria um die Ecke erwirbt; und von seinem Sohn, dessen Markenbewusstsein die Eltern mitunter an den Rand einer Existenzkrise bringt. Trocken, lakonisch und unglaublich komisch setzt Kaminer eine Anekdote an die nächste, vom Besuch im Schloss Bellevue bis hin zum von russischen Seiten heruntergeladenen Film „Nymphomaniac“, der sich erst im nachhinein nicht als das neueste Werk Lars von Triers, sondern vielmehr als Porno erwies. Kann ja mal passieren, sehr zur Freude des Publikums, das Kaminer begeistert feiert. Zu Recht.

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