Akte X-Mas: Weihnachtsgedanken und Käsehochzeit

Weihnachten, das Fest der Liebe. Die geklonte Nordmann-Tanne, ein Retortenbruder des Baumjs vom letzten Jahr, erobert die Wohnzimmer, Wham schmettert „Last Christmas“ in Dauerschleife, auf den Weihnachtsmärkten konkuriert der Duft von billigem gewürztem Fusel mit dem von ver- beziehungsweise gebrannten Mandeln – und Gott verkehrt mit der Evolution auf einem dunklen Parkplatz im Nirgendwo von Gütersloh, bevor er mit ihr über die Feiertage zu seinen Eltern fährt. Alles also wie immer. Da ist es nur konsequent, wenn auch die Akte X-Mas zum inzwischen siebten Mal ihre wilde Mischung aus Gedichten und Geschichten, Skurrilem und Besinnlichem im Pantheon ausbreitet und sich dabei wohlig an den Flammen des zum Publikum gewordenen Kaminfeuers wärmt. Ist schließlich Tradition. Und dank einiger großartiger Künstler mitunter auch gnadenlos komisch.

Vor allem Torsten Sträter erweist sich einmal mehr als Geschenk: Der Ruhrpottler mit der sonoren Stimme, der dank seiner schwarzen Mütze schon mal für ein Mitglied von Santiano gehalten wird, kann selbst die absurdesten Geschichten dermaßen trocken wiedergeben, dass der Sand aus jeder Silbe rieselt. Ob er nun, durch eine Monsterwelle seiner Badehose und seines All-Inclusive-Bändchens beraubt, im Urlaub zum ominösen hungrigen Penismann und letztlich zum spanischen Kinderschreck wird, oder ob er einen Unbekannten per SMS in die Rolle seiner Mutter drängt, stets bewahrt Sträter die Contenance. Ganz im Gegensatz zu Andy Strauss, der auf den ersten Blick an einen unschuldigen Hundewelpen erinnert und mit Beginn seines Beitrags zu einem irren Wort-Psychopathen mutiert, der kurzerhand Mann und Käse verheiratet, Volkslieder brummt und dermaßen abgedreht wirkt, dass man schon Angst haben müsste, würde er auch nur einen Sprung von der Bühne ins Publikum wagen. Macht er aber nicht. Er will ja bloß spielen. Und macht das großartig.

Mit dieser verbalen Wucht können nicht alle Mitglieder des zehnköpfigen Akte-X-Mas-Teams mithalten. Björn Jung, der ohnehin eher ein Ensemble-Mensch ist, bleibt als Tätowierer „Die Nadel“ mit einem recht obszönen und leider nicht wirklich lustigen Schrei nach Hilfe farblos, und auch die Jahresendzeitbesprechung zwischen Ulrich Schlitzer und dem als Lyriker sonst exzellenten Fritz Eckenga bleibt trotz des bewussten Spiels mit dem fehlenden roten Faden lediglich fade. Schade. Dagegen sorgt Jenny Bischoff in ihren wenigen prominenten Momenten durchaus für Freude, ebenso wie Pianist Paul Wallfisch, auch wenn seine a-cappella-Darbietung von „Blowing in the Wind“ völlig zusammenhanglos in der Luft hängen bleibt und auch gesanglich nicht zu den stärksten Darbietungen zählt. Da hat Charlotte Brandi, eine Hälfte des Indie-Pop-Duos Me And My Drummer, weitaus mehr zu bieten, zumindest so lange sie nicht versucht, ihre Phrasierung künstlich aufzublasen. Für zwei textliche Höhepunkte sorgt derweil noch die großartige Katinka Buddenkotte, eine Satirikerin erster Güte, die unter anderem bestimmte Nachrufe auf die israelische Schauspielerin und Sängerin Daliah Lavi zum Anlass nahm, um über die Relevanz von Äußerlichkeiten nachzudenken – und das mit einer sprachlichen Eleganz, die unterhaltsam ist bis zum Schluss. So wie ohnehin der gesamte, von Thomas Koch moderierte Abend. Auch das ist Tradition. Zum Glück.

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