Randi Tytingvåg: Kaugummi in den Schwingen

Albatros-Gene. Die könnten die Erklärung sein. Randi Tytingvåg verfügt über Albatros-Gene. Passt: Einmal in der Luft vermögen diese prächtigen Vögel kilometerweit zu segeln, ohne sonderlich viel Energie für Flügelschläge aufwenden zu müssen, lassen sich von den Luftströmungen treiben, schweben über den Dingen, losgelöst von jedem soliden Fundament. Und genau diese Kunst beherrscht Tytingvåg auch, wie sie am vergangenen Dienstag in der Harmonie unter Beweis gestellt hat. Die norwegische Sängerin, die derzeit mit ihrem Trio ihr neues Album „Roots and Wings“ vorstellt, will einfach nur fliegen – und ignoriert dabei die nötige Bodenhaftung.

Schon die Besetzung, in der Tytingvåg auftritt, ist ungewöhnlich: Ihre langjährigen Begleiter Dag S. Vagle und Erlend Aasland nutzen Gitarre, Banjo und die viersaitige Cavaquinho nur selten für eine klare Rhythmik und schon gar nicht für durchlaufende, treibende Grooves; vielmehr umspielen und verzieren sie die feinen Melodien mit diversen Ornamenten, die aber in der Regel in der Luft hängen bleiben und letztlich ins Leere laufen. Zwar wird ab und zu mal ein bisschen Jazz, Country oder Blues angedeutet, doch wird keiner dieser Ideen jemals gestattet, Wurzeln zu schlagen. Stattdessen mäandern die Songs auch dank des schönen Harmoniegesangs, den Vagle und Aasland noch zusätzlich beisteuern, immer wieder in balladesken Pop mit fast schon schlagerhaften Zügen, ein Eindruck, der durch den Klassiker „Que sera sera“ nur verstärkt wird. Zugleich zieht Tytingvåg die Töne gerne besonders lang, singt die Phrasen bis zum Ende aus und wirkt dadurch, als hätte sie Kaugummi in den Schwingen. Erst spät dreht sie auf, schlägt auch mal mit den Flügeln, zeigt die Energie, die unter ihrer weichen Stimme lauert, protestiert gegen das „Missionary Business“, preist ihre Oma und gibt als Lebensmotto „Keep Walking“ aus, während im Hintergrund ganz leise der Geist von Nancy Sinatra seine Aufwartung macht. Gut, diese Rückbesinnung auf die im Albumtitel explizit genanten „Roots“ kostet viel mehr Kraft als der ätherische Albatros-Gesang, klingt aber auch deutlich besser. Wenn Tytingvåg jetzt noch ihre Flügelmänner entfesseln würde, könnte die Flugshow richtig losgehen.

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