James Blunt: Im Wechselbad der Gefühle

Manchmal können vermeintliche Rekorde ein Fluch sein. „James Blunt hat einige der traurigsten Songs aller Zeiten geschrieben“, behauptet etwa Jamie Lawson, der im Vorprogramm des britischen  Singer-Songwriters ein wenig verloren auf der riesigen Bühne der Kölner Lanxess Arena steht und das Publikum mit seinen feinen, melancholisch angehauchten Folk-Nummern in Stimmung bringen soll. Sein Urteil ist in gewisser Weise nachvollziehbar, gleichzeitig durchaus anfechtbar – vor allem aber drängt es Blunt einmal mehr in die Balladen-Ecke zurück, aus der er doch so gerne ausbrechen möchte. Keine Frage, der 43-Jährige versteht sich bestens auf Musik für die Schmusenden, die Liebenden und die Verlassenen. Aber er kann es mitunter auch krachen lassen und sich dem Klischee verweigern. Oder es zumindest versuchen.

Immerhin gelingt es Blunt schon direkt am Anfang, das Publikum von den Stühlen zu reißen. Ja, Stühle. Warum auch immer. Wahrscheinlich, damit es angesichts von nur 6500 Besuchern voller wirkt. Der Stimmung sind sie auf jeden Fall eher abträglich, vor allem bei Titeln wie dem aus dem Radio hinlänglich bekannten Opener „Heart To Heart“ oder dem Elektro-Pop-Titel „Lose My Number“ vom aktuellen Album „The Afterlove“. Ohnehin erweisen sich gerade die neuen Songs als erfreulich abwechslungsreich und erweitern Blunts Sound- und Dynamik-Repertoire beträchtlich. Immer wieder beginnt er mit ein paar einfachen Phrasen, um diese dann explosionsartig zu öffnen und mit sich auftürmenden Harmonien zu unterfüttern. Klingt gut. Zusammen mit der kraftvollen Band kann Blunt so Vollgas geben und lässt in einigen Momenten wirklich den Rock-Star durchscheinen, der er zwar nicht ist, aber vielleicht noch werden könnte.

Die Menge ist auf jeden Fall begeistert, tanzt nur zu gerne mit – und lässt sich dann wieder in die ruhigen, zum Teil entspannten und dann wieder sehr emotional aufgeladenen Balladen fallen, die Blunt natürlich weiterhin im Gepäck hat. Das bezaubernde „Postcards“ mit der Zwerg-Gitarre und dem Jack-Johnson-Charme, der perfekte Gute-Laune-Song für alle Reisenden; das intensive „Goodbye My Lover“ (wirklich ein trauriges Stück), bei dem Blunt allein am weißen Klavier sitzt und den Saal gefühlvoll mitsingen lässt; und auch der große Hit „You're Beautiful“, den Blunt selbst als „really creepy“ bezeichnet, auch wenn er ihn längst nicht mehr so hasst wie noch vor einigen Jahren. Erweitert wird diese Trias nun noch durch „Make Me Better“: Das Lied entstand in Zusammenarbeit mit Ed Sheeran und ist Blunts Gattin Sofia gewidmet. „Ich fühle mich etwas unwohl, so einen privaten Song zu singen“, sagt dieser. „Aber meine Frau liebt ihn.“ Und das Publikum auch, obwohl ein bisschen mehr Spannung und ein bisschen weniger Druck dem Stück sicherlich nicht geschadet hätte.

Letztlich spielt James Blunt somit, was man von ihm erwartet, und eröffnet sich dennoch neue Horizonte. Er macht Laune, in der Regel aber gute, was längst nicht jeder Künstler von sich behaupten kann – und er schafft dies mit einer Leichtigkeit und einem Charisma, die seinesgleichen suchen. Die Menge reagiert entsprechend, ist selig, liegt sich zumindest verbal immer wieder in den Armen, schwelgt in Emotionen, genießt die Melancholie und feiert zugleich den Rock, den ihr Idol mit einbezieht. Also alles richtig gemacht. Und so geht das Publikum am Ende, den angeblich „traurigsten Songs“ Blunts zum Trotz, auch mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause. Und nicht mit einer Träne im Auge.

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