Rita Marcotulli & Luciano Biontini + Neil Cowley Trio: Die Schöne, der Träumer und das Biest

Es ist ein Abend zwischen Traum und Rausch. Ein Abend, in dem man versinkt, die Zeit vergisst und sich den Gefühlen ergibt, die einen unweigerlich zu überwältigen drohen: Erst Zärtlichkeit und Melancholie, hinterher verdichtete Ekstase. Keine Frage, das Jazzfest-Doppelkonzert im LVR Landesmuseum mit Rita Marcotulli und Luciano Biontini auf der einen und dem Neil Cowley Trio auf der anderen Seite des energetisch-emotionalen Spektrums lässt die Wellen hoch schlagen, und gerade in der zweiten Hälfte kann nicht jeder der wilden Fahrt durch die pulsierende Nacht etwas abgewinnen. Dabei sind beide Auftritte auf ihre jeweils eigene Weise aufregend – und eröffnen letztlich dem Publikum neue Welten.

Die italienische Pianistin Rita Marcotulli ist eine alte Bekannte des Bonner Jazzfests. Schon bei der ersten Auflage vor nunmehr elf Jahren war sie mit von der Partie, jetzt lässt sie erneut ihr lyrisch-kraftvolles Spiel von den Fingern perlen und die beständig rollenden Melodien, die wie die Wellen des Meeres ihren hypnotischen Reigen tanzen, zu ihrem Bühnenpartner Luciano Biondini fließen. Dieser begleitet Marcotulli mit seinem Akkordeon auf jener unsichtbaren Straße, die sich beide als Album-Titel gewählt haben und die sie quer durch ihre Heimat Italien führt. Auf dieser Reise zelebrieren sie das Leben ebenso wie die Nostalgie, füttern das Kopfkino mit einer nie enden wollenden Kaskade aus Tönen und Harmonien und zaubern so Musik, die hinter geschlossenen Lidern mitunter an ein Landhaus am Meer erinnert, geprägt von abblätternder Farbe und alten Erinnerungen, nur um dann wieder aufzublühen und in virtuosen Läufen der Unbekümmertheit Raum zu geben.

Diesen Traum löst Neil Cowley dann abrupt auf und überwältigt die Zuhörer mit schier unbändiger Energie. Auch er nimmt das Publikum mit auf eine Reise, aber nicht durch malerische Landschaften und pittoreske Städtchen, sondern geradewegs ins Zentrum eines Pulsars. Die anfänglich monotonen Muster, durch elektronische Hilfsmittel aufgebohrt und doch letztlich quälend repetitiv, machen bald komplexeren Strukturen Platz, entfalten sich nach und nach und legen den Jazz inmitten der Rock-Schichten frei. Während Cowley, der sonst unter anderem für Adele in die Tasten greift, einen Akkord auf den nächsten stapelt und zugleich geschickt aus dem harmonischen Minimalismus in unendliche Weiten des Klangs vorstößt, agiert Drummer Evan Jenkins als monströser Motor, als explosives Biest, das Trio und Menge gleichermaßen immer tiefer in die düster-dionysischen Ebenen treibt. Und dann wäre da noch der elegische Bassist Rex Horan, der mal mit seinem Bogen für Gänsehaut sorgt und dann wieder an Synthesizern herumschraubt. Der kollektiven Wucht entfliehen nach und nach einige Besucher, kurz bevor Cowley in einigen fantastischen Balladen seine Brillanz unter Beweis stellt. Ganz großes Kino.

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