Jürgen Becker: Zwischen Lust und Frust

Manchmal, so räsoniert Jürgen Becker, wäre der Mensch ohne Sex besser dran. Ja, wenn man so wäre wie eine Blattlaus, die sich zur Fortpflanzung selbst genügt, dann würde man viel entspannter leben. Keine permanente Suche mehr nach dem richtigen Partner, kein Bunga-Bunga, kein Stress. Schluss mit dem ganzen Aufwand. Sokrates habe schließlich nur deshalb die abendländische Philosophie entwickelt, weil es zu Hause mit seiner Xanthippe nicht so recht lief, und Pythagoras habe den Geschlechtsakt bewusst dem Winter vorbehalten, um mehr Zeit zum Denken zu haben. Andererseits, so ganz ohne? Wirklich? Quatsch, sagt Becker. Das will doch keiner, selbst nicht der Klerus. Und so stürzt sich der Kölner Kabarettist in seinem neuen Programm „Volksbegehren“, das er jetzt im ausverkauften Pantheon präsentiert hat, mit Verve und jeder Menge Beispiele aus der Kunstgeschichte in die Erforschung der Geschichte von Sex, Lust und Fortpflanzung.

Im Herzen ist Becker ja ein Lehrer, einer, der seinem Publikum auf humorvolle Weise die Welt erklären will. Im Vorgängerprogramm „Der Künstler ist anwesend“ hatte er sich vor allem auf den Zusammenhang von Religion und Kunst konzentriert, nun fügt er diesem Spannungsfeld noch die Sexualität hinzu. Akte aus allen Jahrhunderten, pornographische Fresken und einige erst auf den zweiten Blick zum Thema passende Werke blendet er auf einer Leinwand ein, während er zunächst dem Sinn und Zweck der Sexualität, später dann den Auswirkungen auf den menschlichen Geist auf die Schliche zu kommen versucht. „Sex ist Selbstschutz“, sagt Becker gleich zu Beginn: Durch die Verbreiterung des Genpools bringe man die Bakterien durcheinander, die angesichts der ständigen Reprogrammierung keinen Schlüssel zu ihrem eigenen Himmelreich finden würden. Stimmt so nicht ganz (wie bei diversen anderen vermeintlichen Fakten auch), dem Publikum genügen diese Vereinfachungen aber vollkommen. Schließlich will man ja nicht aufgeklärt sondern lediglich unterhalten werden. Dazu dienen dann zwischendurch ein paar Gags – und genau hier zeigen sich erste Schwächen im Beckerschen Stil. Denn viele Pointen sind unnötig platt und plump oder schießen zumindest über das Ziel hinaus. Bei aller berechtigten Kritik an der Bigotterie der CSU hinsichtlich der Sexualmoral und des geförderten Familienmodells ist eine Auflösung des Partei-Akronyms zu „chronisch sexuell unterversorgt“ ebenso wenig lustig wie belanglose Zoten über Angela Merkel, Rainer Calmund oder Lothar Matthäus, die man vielleicht von irgendwelchen Wannabe-Comedians erwarten würde, nicht aber von einem Kabarettisten von Beckers Format.

Dabei kann der 57-Jährige so viel feiner und differenzierter argumentieren und zugleich für Unterhaltung sorgen, ohne in die Niederungen der deutschen Komik hinabzusteigen. Wenn er etwa das Freudsche Strukturmodell der Psyche auf kölsche Art erläutert, den Zusammenhang zwischen Religion und Lust anhand eines abgebrochenen Bienen-Penis verdeutlicht oder die Hintergründe des Ächtung des Körperlichen in der christlichen Theologie beleuchtet, ist Becker brillant, informativ und locker, so dass es einfach Spaß macht, ihm zuzuhören. Gleiches gilt für die beständigen Bezüge zur Malerei, anhand derer der Kunstliebhaber alle Spielarten der Lust offenlegt, das Animalisch-Triebhafte ebenso zeigt wie die Versunkenheit im Liebesakt und letztlich die natürlichste Sache der Welt angemessen würdigt. Da ist es doch ganz gut, keine Blattlaus zu sein.

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