Gerd Dudenhöffer: Bitterböses Stammtischgeschwätz

Bestimmt hat er es uns schon mal erzählt, irgendwann, vor einigen Jahren. Aber manche Geschichten werden einfach nicht schlecht. Oder besser, je nach Perspektive. Denn dass die von Rassismus, Sexismus und Unkenntnis durchtränkten Stammtisch-Parolen, mit denen Heinz Becker so gerne um sich schmeißt, heutzutage noch mindestens genau so brisant und aktuell sind wie vor 30 Jahren, sollte nachdenklich machen. Viel gelernt hat da wohl keiner. Schon gar nicht der Becker-Heinz, dieser saarländische Dauernörgler und Besserwisser, der mit seinem Scheuklappen-Blick die Welt zu begreifen versteht und dabei, ohne es selbst zu merken, vom Zeitgeist überrollt wird. Jetzt hat sein Schöpfer Gerd Dudenhöffer im Pantheon die vergangenen 30 Jahre Revue mit der Kunstfigur passieren lassen – und dabei ein Deja Vu ans nächste gereiht.

Die Lage der Nation, so wie Becker sie sieht, ist alles andere als rosig. Eher braun. Mehr rechts als schlecht. Dudenhöffer lässt sein Alter Ego mit der Bätschkapp daher auch kräftig gegen alle austeilen, die nicht in sein konservativ-engstirniges Bild einer gutbürgerlichen Gesellschaft hineinpassen. Wer nicht passt, wird nicht etwa passend gemacht, sondern gleich ausgegrenzt. Ist einfacher. Die rote Schleife, Zeichen der Solidarität mit allen HIV-Infizierten und Aids-Kranken, ist für ihn die perfekte Markierung für Homosexuelle, die Vorurteile gegen Ausländer nur versteckte Wahrheiten. „Ich bin bestimmt nicht tolerant“, sagt Becker. Stimmt. Aber gerade deswegen ist er heute wichtiger denn je. Mit seiner tollpatschigen Art reißt er kurzerhand alle Masken runter und entblößt so manche radikale Gesinnung, etwa die eines Nachbarn, auf dessen Hauswand Schmierfinken ein Hakenkreuz gemalt haben: „Da haben die das auch noch falsch aufgesprüht“, echauffiert er sich in der Beckerschen Erzählung. „Da musste ich es ja entfernen. Wenn es wenigstens richtig gewesen wäre...“

Dudenhöffer hat bewusst einige der bittersten, schwärzesten Tiraden Heinz Beckers ausgegraben und zusammengefügt. Diese nachdrückliche Fokussierung, die zwischen Episoden über Schnittchen-Kategorisierungen, Seifenspender-Debakeln und Sexshop-Besuchen permanent durchdringt, verfehlt ihre Wirkung nicht: Immer wieder schnappt das Publikum nach Luft, kann kaum glauben, was da von der Bühne schallt. Und doch kann sich keiner eines Lachens erwehren, wenn der Mann mit der Batschkapp angesichts des Klimawandels, der im Norden die Pole zum Schmelzen bringt und im Norden für immer mehr Dürreperioden sorgt, von einem drohenden Treffen zwischen Käpt'n Iglu und Onkel Ben schwadroniert oder von der Erbschuld der Völker faselt (wobei er Deutschland explizit nicht ausnimmt). „Wenn man net drüber lachen könnt', wär's auch traurig“, sagt Becker nur lakonisch dazu.

Mindestens ebenso zynisch wird der Vorzeige-Spießer beim großen Thema Tod in all seinen Varianten. Zwischen Suizid und Sterbehilfe ziehen sich dabei die Probleme des Alltags. Wenn der Herr Seiler sich erhängt, aber keine Zeitung auf den Stuhl legt, bevor er hinaufsteigt, ist das ebenso tragisch wie die Tomatensoßenflecken auf dem frischen Hemd, über die sich Becker aufregt, während er gleichzeitig von einem tödlichen Motorradunfall erzählt, bis sich die beiden Ebenen, die banale und die tragische, nahezu vollständig überlappen. Die eine blendet die andere aus, ist die Decke, die über das Unaussprechbare gezogen wird – und die Dudenhöffer seinen Becker doch immer wieder lupfen lässt, weil eben nicht alles fort ist, indem es ignoriert wird. Da schwelt vielmehr so manches, was Deutschland noch um die Ohren fliegen könnte. Und auch wenn das Publikum Heinz Beckers Ausführungen belächeln mag, sollte es sie vielleicht gleichzeitig auch ernst nehmen. Sonst kommt am Ende noch ein gänzlich unerwünschtes Deja Vu.

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