„Die Blechtrommel“: Das Schlagwerk steht im Mittelpunkt

Ein Bogen streicht übers Becken, einen Schrei zu imitieren versuchend; eine Röhre erzeugt Glockenschläge; zudem Pauken, Rasseln, feine Marimbaphon-Musik und Klänge aus der Loop-Station. Dazwischen gelesene Passagen, virtuos gedrechselte, mitunter anstrengend und doch bildgewaltige Kapitel aus einem Jahrhundertroman. Grass. „Die Blechtrommel“. Doch ausgerechnet eine Snare bleibt an diesem Abend in der Oper Bonn unberührt. Sie symbolisiert jenes in beständigem Protest geschlagene Instrument, das zu spielen das Vorrecht des Protagonisten Oskar Matzerath ist – und während Schlagwerker Stefan Weinzierl gerne das gesamte ihm zur Verfügung stehende Equipment nutzt, um die Handlung des Buches in Töne umzusetzen, überlässt er doch alles, was mit dem ungewöhnlichen Jungen zu tun hat, ganz bewusst den beiden Vorlesern: Dem Rezitator Clemens von Ramin und der aus dem „Tatort“ hinlänglich bekannten Schauspielerin Ulrike Folkerts.

Diese ziehen mit ihren Stimmen die Zuhörer unweigerlich in ihren Bann: Von Ramins weicher, warmer Bariton koloriert die Geschehnisse im vom heraufziehenden Nationalsozialismus überschatteten Danzig mit eindrucksvollen Farben, während Folkerts klares Organ in erster Linie Oskar zum Leben erweckt und jene Passagen übernimmt, in denen dieser aus der Ich-Perspektive erzählt. Dieser Einteilung folgen die beiden nicht immer ganz konsequent, aber doch einigermaßen zuverlässig, während die Geschichte eines Jungens, der sich des Wachstums verweigert, seinen Gang nimmt. Dabei haben sich die Vorleser einige der berühmtesten Passagen herausgesucht, die auch aus Volker Schlöndorffs berühmter Verfilmung in Erinnerung sein dürften: Die Geburt Oskars mit dem auf Glühbirnen trommelnden Falter; der freiwillige Sturz von der Treppe, um in Ablehnung des Vaters auf ewig ein Dreijähriger bleiben zu können; die Entdeckung einer Stimme, die Glas zersingen kann; das Trommeln unter der NSDAP-Tribüne, mit dem Oskar alle Musiker nach seinem Rhythmus spielen lässt; später dann die Reichskristallnacht und die Kellerszene mit der Vergewaltigung einer Nachbarsfrau durch russische Soldaten und dem Erstickungstod von Oskars Vater. Folkerts und von Ramin lesen dabei selbst in den aufwühlendsten Momenten mit einer bemerkenswerten Ruhe, bleiben Chronisten, statt die Emotionen auszuschlachten.

Die eigentlichen Höhepunkte kommen ohnehin von Weinzierl. Schließlich ist all dies sein Projekt, er hat diese besondere Lesung initiiert – und sie natürlich so konzipiert, dass seine Kunst entsprechend zum Tragen kommen kann. Tatsächlich ist es eindrucksvoll, was für ein wohldosiertes Effektgewitter er mit seinem Schlagwerk zu zaubern versteht, ohne dabei seine Mitstreiter in eine Ecke zu drängen. Zugegeben, an manchen Stellen wirken Weinzierls Klangexperimente ein wenig zu bemüht, an anderen wartet man derweil vergeblich auf ein Lebenszeichen, aber das ist, wie so oft, Geschmackssache. Die Umsetzung ist auf jeden Fall aller Ehren wert und schließt so auch einen Roman auf, mit dem sich viele bislang, angesichts der überbordenden Fabulierkunst von Grass nicht sonderlich überraschend, eher schwer getan haben. Die Mischung aus Klangperformance und Lesung, mit 90 Minuten überschaubar in der Länge und angenehm im Ton, schafft dank eines exzellenten Musikers und zweier starker Vorleser den Brückenschlag – und macht neugierig auf mehr.

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