„Der Zorn der Wälder“: Wühlen im Mulch

Nebel wabert über dem mulchigen Boden. Ein nackter Mann suhlt sich im Dreck, befreit von den vergessenen Utopien der Stadt und vom Gestank gestorbener Sehnsüchte. Ein Aussteiger. Ein Gesuchter. Vielleicht auch ein Verlorener. Auf jeden Fall aber das Ziel von Privatdetektiv Gordon Pritchet (Manuel Zschunke), der in Alexander Eisenachs Stück „Der Zorn der Wälder“ aus der Feder von der verführerischen Emma Carsons (Lara Waldow) beauftragt wird, ihren verschwundenen Ehemann Henry (Daniel Breitfelder) zu finden. Eigentlich eine leichte Aufgabe. Doch natürlich steckt mehr dahinter, wie sich in der Uraufführung auf der Werkstatt-Bühne des Theater Bonn herauskristallisiert. Und so wagt sich Pritchet, der urbane Schnüffler, in die sumpfig-düstere Natur, in der Sozialterroristen Befreiungspläne schmieden, weil sie das Vertrauen in vom Kapitalismus überwuchterte demokratische Prozesse verloren haben. Der einsame Wolf als Verteidiger einer gesichtslosen Gesellschaft, die er doch selbst kritisiert.

Regisseur Marco Štorman hat die Atmosphäre des Film Noir, der als Folie für Eisenachs Systemkritik dient, meisterhaft in Szene gesetzt. Licht, Ton, Kostüme, alles passt perfekt und erreicht dabei in ihrer Schlichtheit eine Wirkung, die sogar an die bildgewaltige Inszenierung von „Herz der Finsternis“ heranreicht. Auch das Ensemble erweist sich als Genuss, allen voran Benjamin Berger, der den zunächst hinterwäldlerisch grunzenden Sargbauer Hawkins mit einer wunderbaren Mischung aus Biss und Augenzwinkern spielt, so dass es beinahe schade ist, als die Figur sich zu einem anarchistischen Vordenker wandelt. Herrlich auch Lara Waldow, die die Manierismen des Film Noir mit sichtlichem Gusto übernimmt, ähnlich wie Johanna Falckner als brillante Femme fatale. Daniel Breitfelder darf sich derweil am stärksten austoben, wird vom biederen Geschäftsmann zum blank ziehenden Naturisten, erscheint zwischendurch als Sumpfmonster und letztlich als völlig überforderter Wannabe-Ureinwohner mit Lendenschurz und ohne Ahnung. Bleibt noch Manuel Zschunke: Sein Pritchet erweist sich irritierenderweise als Gegenentwurf zu den gängigen Stereotypen, als junger, weicher Bürokrat, dem man weder Verbitterung noch Alkoholismus abnimmt und der somit von seiner Wirkung her am ehesten noch ein Diener des systemischen Molochs ist. Was in gewisser Weise sogar passt.

Die Schwächen von „Der Zorn der Wälder“ finden sich daher nicht in der an sich exzellenten Umsetzung als vielmehr im Text selbst. Die grandiose Verknüpfung von Film Noir und Gesellschaftskritik der anfänglichen Passagen kippt irgendwann, bis die Handlung selbst zur Nebensache verkommt und der philosophische Diskurs die einzige treibende Kraft bleibt. Eine, die mit eher dystopischen denn utopischen Positionen unwidersprochen über den Flammen einer brennenden Zivilisation hängt. So wird das Theater auf den reinen Sprechakt reduziert, anstatt alle Möglichkeiten vollends auszunutzen. Dennoch bleibt „Der Zorn der Wälder“ eine spannende, eindrucksvolle Produktion, die mit starken Bildern ebenso zu überzeugen weiß wie mit anregenden Gedankenspielen. Bitte in Zukunft mehr davon.

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