Anny Hartmann: Lachen mit einer Armlänge Abstand

Viel ist im vergangenen Jahr geschehen, über das man reden kann. Und auch sollte. Doch wer bei der Wahl der Themen nicht aufpasst und sich ein wenig einschränkt, droht schnell an der Kleinteiligkeit zu ersticken. Genau damit hatte auch Anny Hartmann bei ihrem Jahresrückblick im Bonner Pantheon zu kämpfen: Die derzeit wahrscheinlich bestinformierteste Kabarettistin des Landes wollte wirklich auf alles zu sprechen kommen, was Deutschland und die Welt in den vergangenen zwölf Monaten bewegt hat. Silvesterübergriffe und Lügenpresse, Obergrenzen, AfD, Flüchtlingskrise, Kükenschreddern, Brexit, Lohfink, Erdogan, Reichsbürger, Trump... Ein Schlagwort jagte das nächste, zu allem präsentierte Hartmann harte Fakten – und leider viel zu oft ungewohnt flache Pointen.

Es ist schon verwunderlich, dass Anny Hartmann derart ins Schwimmen gerät. In der Regel können ihr nur eine Handvoll Kollegen das Wasser reichen, und auch im Pantheon schärfte sie ihre spitze Zunge immer wieder mit analytischer Brillanz, stellte der Warteliste im Frauenhaus die „Fast Lane“ am Flughafen entgegen (laut Aussage einer Beamtin „nur für Männer, die haben es eilig“), verteidigte Jan Böhmermann und seine Schmähkritik mit der Verlesung des Kontextes, in dem diese erfolgte, und sezierte gefühlte Wahrheiten. Kabarett in Reinstform eben. Dem gegenüber standen allerdings belanglose Wortspielereien und Kalauer, unnötig aufgewertete Mini-Pointen (so genannte „böse Quickies“) und diverse Kurzspiele mit dem Publikum. Sollte ja kein Frontal-, sondern ein Kollektiv-Unterricht sein. Doch das Raten von Zitaten, das im Falle des künftigen US-Präsidenten kurzerhand „Trump or Dump“ genannt wurde, brachte weder Erleuchtung noch Unterhaltung. Lediglich Schokolade für die fleißigen Ratefüchse im Publikum.

So erwies sich der Jahresrückblick als ein ständiges Auf und ab. Mitunter sehr lehrreich, etwa als Anny Hartmann das Wiederaufkommen des einst von den Nationalsozialisten geprägten Begriffs „Lügenpresse“ anlässlich der Berichterstattung über die Vorfälle der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte durch den Verweis auf den Pressekodex des Deutschen Presserats in ein für viele Menschen wahrscheinlich neues Licht rückte (demnach sollte nämlich gerade nicht die Nationalität mutmaßlicher Täter genannt werden, sofern nicht ein begründbarer Sachbezug besteht) oder als sie auf die in den Medien kaum stattfindende Militärintervention Saudi-Arabiens im Jemen zu sprechen kommt. Und dann wieder so lapidar und oberflächlich, dass man sich im falschen Programm wähnte. Die Fusion von Bayer und Monsanto zu einem Megakonzern, der unser Verhältnis zu Gen-Nahrung nachhaltig verändern dürfte? Eine Fußnote. Selbst die Kaufprämie für Elektroautos erhielt mehr Gewicht.

 

Und dann Sport. Im politischen Kabarett. Abgehandelt mit ein paar Floskeln und einem Verweis auf den sexistischen Shitstorm, der sich bei der Fußball-WM in Frankreich über Sportjournalistin Claudia Neumann ergoss. Eine tiefergehende Betrachtung der Dynamiken in sozialen Netzwerken oder vielleicht ein Kommentar zur entsprechend geänderten Rechtsprechung entfiel aber. Dafür war keine Zeit, der Rest des Jahres musste ja auch noch abgehandelt werden. Verständlich. Und trotzdem schade. Denn so hielt Anny Hartmann zu ihrem eigentlichen Talent unnötigerweise eine Armlänge Abstand. Eine Bilanz des vergangenen Jahres kann schließlich jeder halbwegs belesene Kabarettist zuwege bringen, eine Darlegung eines Sachverhalts mit Tiefgang und Sachverstand nur wenige. Anny Hartmann, die ohne Zweifel in der Tradition von Volker Pispers steht, gehört dazu. Wenn sie sich fokussiert und Qualität statt Quantität wählt. Was sie in der Regel ja auch tut. Wird man spätestens im September wieder sehen: Dann feiert ihr neues Programm seine Premiere.

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