Hagen Rether: Bewerbungsrede für Königsposten

Wenn er nur könnte, wie er wollte. Keine Werbung mehr im Kinderfernsehen, das die Bälger ohnehin kaum sehen würden, weil sie in Horden um die Häuser ziehen und das analoge Leben genießen würden, so lange es geht; keine Wachstumsversprechen und Wachstumsdrohungen mehr, ebenso wenig wie dauerhafter Leistungsdruck, stattdessen Entspannung und Entschleunigung und die Rente mit 90 (zumindest für alle, die das wollen). „Das alles und noch viel mehr würd' ich machen, wenn ich König von Deutschland wär'“, hat Rio Reiser vor 30 Jahren gesungen – ein Gedanke, der derzeit auch bei Hagen Rether beständig mitschwingt.

In der nunmehr sechsten Auflage seines Dauerprogramms „Liebe“ deckt der Kabarettist mit dem Pferdeschwanz scharfsinnig und scharfzüngig die zentralen Probleme der Gesellschaft auf, blickt hinter das Augenscheinliche und auf die dahinterliegende Wahrheit, die so viele verdrängen, weil sie unbequem ist und vor allem ungeheuer komplex. Außer eben für den Rether. „Wir kriegen unsere Diskurse nicht geregelt, wenn wir sie immer wegdrücken“, sagt er. Und macht sich daran, mal eben kurz die Welt zu retten.

Keine Frage, als Analytiker ist Hagen Rether schon länger hervorragend, zumindest wenn er sich nicht, wie vor allem bei der Religion, von Vorurteilen leiten lässt und allein aus purem Reflex gegen Papst Franziskus zu wettern scheint. Als Kritiker der Wohlstandsgesellschaft macht ihm auf jeden Fall keiner etwas vor: Geschickt dekonstruiert er ein Volk, das seine kollektive Moral unter einem Berg von Konsum und Gier und Angst begraben hat und sich zugleich über den Sittenverfall echauffiert. Und das, obwohl wir doch die Guten sind! Wer sich da nicht anpasst, wird kurzerhand zum Problemfall erklärt. Nicht integrierbar ist auch, wer sich nicht dem westlichen Streben nach Produktivität unterordnet und eine pluralistische Gesellschaft akzeptiert, die fröhlich heuchelnd Bomberjacke und Springerstiefel als Zeichen individueller Gesinnung auszuhalten vermag, bei einer Burka aber an die decke geht.

So plaudert Rether über Gott und die Welt, von einem Gedanken scheinbar wahllos zum nächsten springend und dabei wie immer lässig in seinem Drehstuhl vor dem Flügel sitzend, den er irgendwann zu polieren und schließlich gar – nach den Erfahrungen vergangener Jahre eine kleine Überraschung – zu spielen beginnt. Dass diverse Pointen schon länger durch sein Programm schwirren, ist der Form des selbigen geschuldet und auch nicht weiter schlimm, im Gegensatz zu den gelegentlichen Abstürzen im Niveau bis hin zu Genitalwitzen, die eigentlich eine intellektuelle Entlastung bringen sollen und doch häufig nur peinlich sind. Ganz so tief muss man im Kabarett nun wirklich nicht fallen. Zumal der Weg nach oben dann umso mühsamer wird. Da stolpert selbst ein Hagen Rether mal über seine eigenen Ansprüche und führt etwa beim Thema Prostitution in bestr Alice-Schwarzer-Manier einen Kreuzzug gegen die Freier, weil man ja nicht feststellen könne, welche Hure ihren Beruf freiwillig ausübe, anstatt über den brutalen Menschenhandel zu sprechen, der dieser Problematik zu Grunde liegt – was letztlich genau die Art von Stellvertreterdebatte ist, die der 46-Jährige zuvor in anderen Bereichen völlig zu Recht angeprangert hat. Ein bisschen irritierend ist diese kurze Formschwäche schon, so richtig und wichtig sein Anliegen auch ist. Dennoch: Als Bewerbungsrede für den Königsposten ist „Liebe“ schon einmal vielversprechend.

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