„Das weiße Album“: Aufstand der Pilzköpfe

Eigentlich ist alles ein riesengroßes Missverständnis. Eine falsche Lesart. Kommt vor. Besonders bei Beatles-Songs. Schon die 68er-Bewegung hat die Texte der Pilzköpfe gerne zerredet und mit Bedeutungen bedacht, die nicht intendiert waren – da ist es doch verständlich, dass auch in der neuen Michael-Barfuß-Produktion „Das weiße Album“, das am vergangenen Samstag in der Brotfabrik seine Bonnpremiere feierte, einige skurrile Bezüge hergestellt werden. Letztlich lässt sich damit ja auch vieles rechtfertigen: Das Leben in der Kommune („Don't Pass Me By“), die gewaltsamen Studentenproteste („Helter Skelter“), die Angriffe auf Polizisten als verhasste Repräsentanten eines konservativen Systems („Piggies“). Auf dieser Basis hat Barfuß zusammen mit Studenten und Absolventen der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter eine augenzwinkernde Revue erarbeitet, die zwar konzeptionell und gesanglich nicht immer ganz rund wirkt, dafür aber mit starken Bildern und einer exzellenten Band aufwarten kann.

In immer neuen Verkleidungen toben die sieben Darsteller Olga Artes, Dimitrij Breuer, Lean Fargel, Cem Göktas, Thomas M. Hospes, Esra Maria Kreder und Yasmin Münter über die Bühne, zeigen mal klischeehaft den Kampf zwischen einem schmalbrüstigen Captain America und einem betrunkenen, Säbel schwingenden Russen, lassen dann wieder Affen und Schweine auf das Publikum los oder wedeln mit Mao-Bibeln – warum sie letzteres allerdings ausgerechnet bei „Sexy Sadie“ tun, bleibt ein Rätsel. Immer wieder sorgen derartige Konstellationen für Irritationen, erschließen sich längst nicht alle Ideen so deutlich wie das von Straßenunruhen, dem Vietnam-Krieg und dem Attentat auf Martin Luther King inspirierte „Revolution“, bei dessen Vortrag auf einmal gegen die „kapitalistischen“ Beatles protestiert und ihnen ein „reaktionäres Klassenbewusstsein“ vorgeworfen wird. Auf die Botschaft kommt es eben nicht an, nur auf die politische Gesinnung. Oder auf das, was man gerade in so einen Song hineinlesen möchte. Sofern da nicht die Pferde mit einem durchgehen: Bei „Honey Pie“ zieht das Ensemble Parallelen zu der Entführung von Patty Hearst. Die ereignete sich 1974, sechs Jahre nach dem für diese Inszenierung zentralen Jahr.

Immerhin setzt die junge vierköpfige Band (Jan Felix Rohde, Jochen Fiedler, Alex Parzhuber, Masha Shafit) sämtliche Songs des Weißen Albums bravourös um, spielt versiert und ist in allen Stilarten, von Folk über Ragtime und Blues bis hin zu Hardrock und Psychedelia, absolut sicher. Hervorragend. Doch auch die Schauspieler und Sänger werden im Verlauf des Abends stärker, legen nach und nach anfängliche Intonationsschwächen ab, werden sicherer und sauberer. So präsentiert Olga Artes eine veritable Version von „Blackbird“, und auch die beiden mit bemerkenswerter Bühnenpräsenz gesegneten Darsteller Esra Maria Krader und Dimitrij Breuer kommen zunehmend in Fahrt. Davon bitte mehr.

Letztlich sorgt das Ensemble dann doch für einen schönen Abend, der zwar mit seiner bemühten „theatralen Dialektik“ nicht immer die richtigen Bezüge herstellt, dafür aber mit schöner Musik und einer vergnüglichen Bühnenshow aufzuwarten versteht. Wem das reicht, sollte sich beeilen: Zunächst gibt es nur noch zwei Oktobertermine. Ob die Inszenierung danach fortgesetzt wird, wird sich zeigen.

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