Nigel Kennedy und Rebecca Treschers Ensemble 11: Exzentriker trifft Geschichtenerzähler

Ein Superstar hat besondere Anforderungen. Manchmal auch ziemlich absurde. Ein komplett weißes Hotelzimmer etwa, Strohhalme für 900 Dollar, Blickkontakt-Verbot und vieles mehr. Im Falle von Nigel Kennedy war es neben einem strikten Verbot für Pressefotografen die Sperrung der halben Bühne: Beim Abschlusskonzert des Bonner Jazzfests im Telekom Forum lässt der Star-Geiger niemanden auch nur in die Nähe seiner Aufbauten, so dass sich das vor im spielende Ensemble 11 der jungen Klarinettistin Rebecca Trescher am linken Rand zusammendrängen muss, um ihr beeindruckendes, mit 60 Minuten leider viel zu kurzes Programm zu präsentieren.

Musikalische Partner auf Augenhöhe, wie dies ansonsten bei diesem Festival üblich ist? Unmöglich. Dabei wäre es nur angemessen gewesen. Denn auch wenn Kennedy mit seinem neuen Jimi-Hendrix-Programm die Massen in Ekstase versetzt und immer wieder seine Qualitäten unter Beweis stellt, setzt das junge Elftett mit seiner programmatischen Musik einen würdigen Kontrapunkt.

Schon die Besetzung ist für eine Jazz-Formation ungewöhnlich: Eine fast schon klassisch zu nennende Combo aus Klavier, Saxofonen, Klarinette (statt Trompete), Bass und Schlagzeug wird kurzerhand um Harfe, Flöte, Cello, Vibraphon und eine Scat-Sängerin erweitert und bietet so neue Klangfarben, die Trescher in ihren symphonischen Kompositionen geschickt einsetzt. Mit ihrer Musik malt die 29-jährige Nürnbergerin fantastische Bilder, das hervorragende Ensemble wie einen Pinsel schwingend. Mal erzählt sie von der hartnäckigen Hausspinne, dann wieder von einer Märchenszene („Die Hexe und der Knecht“), an der der russische Komponist Modest Mussorgski („Bilder einer Ausstellung“) seine wahre Freude gehabt hätte. Zwischen diesen epischen, opulenten Passagen wabert immer wieder feinster Jazz voller Spielfreude und Virtuosität, neu und aufregend, weitaus mehr gedanklichen Raum fordernd, als den Musikern in realitas zugestanden wird. Man hätte ihnen mehr geben sollen. Mehr Platz. Und mehr Zeit.

Doch beides hat Nigel Kennedy in Beschlag genommen – und in gewisser Weise steht ihm ja auch ein Zwei-Stunden-Konzert zu. Ärgerlich nur, dass es auf Kosten von anderen ermöglicht wird. Immerhin mimt der Brite, der gerne als Klassik-Punk tituliert wird, zumindest bei seinem umjubelten Auftritt nicht die Diva. Ganz im Gegenteil: Er gibt sich volksnah, scherzt mit dem Publikum und gibt diesem, wofür es gekommen ist. Hendrix. In neuem Gewand und beständig ineinanderfließend, aber unverkennbar. Krachen soll es, krachen wird es. Von einem Extrem ins andere. Manchmal gar ein bisschen zu viel, zumal Kennedy gerade in den wuchtigen Passagen eher blass bleibt, überragt von seinen Gitarristen Doug Boyle und Julian Buschberger, diesem 21-jährigen Wunderknaben mit den virtuosen Power-Soli. In den ruhigen Momenten aber... Gänsehaut! Wenn das Schlagwerk schweigt, der Rock reduziert ist, dann erst zeigt sich die unglaubliche Intensität des 58-Jährigen in seiner vollen Pracht. Bei „Little Wing“ zum Beispiel, ganz einfühlsam gespielt. Da ist er Jimi Hendrix auf einmal ganz nahe, versunken in sein Spiel, ein Zauberer auf seinem Instrument. Die Modulationspedal-Batterie zu seinen Füßen braucht Kennedy gar nicht, auch keine albernen Video-Installationen oder anderen Schnickschnack. Er muss nicht ruppig spielen, nicht den lausbubigen Draufgänger geben, den ständigen Rebellen. Oder den raumgreifenden Exzentriker. All das hat er eigentlich nicht nötig. Auch wenn es manchmal, das lässt sich nicht verhehlen, einfach Spaß macht, die Rampensau zum funkigen „Pick up the Pieces“ mit dem Bogen über die Saiten jagen zu sehen. Das Publikum feiert Kennedy auf jeden Fall frenetisch – ein gelungenes Finale des Jazzfests 2015.

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