„Hiob“: Bemüht (und) bewegend

Vertrauen in die Schrift und das Wort – das ist manchmal viel verlangt. Sehr viel sogar. Zu viel für manche. „Ich will Gott verbrennen“, ruft der verzweifelte Mendel Singer, während seine Welt in Trümmern liegt und alles für ihn verloren scheint. Glaube? Ist vergänglich. Es ist wahrlich die Geschichte eines modernen Hiob, die Joseph Roth in seinem gleichnamigen Roman von 1930 erzählt und die jetzt in den Kammerspielen Bad Godesberg auf die Bühne gebracht worden ist. Der älteste Sohn verschollen, der nächste im ersten Weltkrieg gefallen, die Tochter in der Psychiatrie, die Frau mit gebrochenem Herzen gestorben. Und Menuchim, das behinderte vierte Kind, zum Sterben zurückgelassen in Russland zugunsten eines vermeintlich heilen und dann doch zerbröckelnden Familienlebens in Amerika.

Dass der von allen verlassene Mendel in diesem Moment nicht mehr an die Tora glauben will, jenes Buch, das zuvor für ihn die Welt bedeutet hat, ist verständlich. Warum allerdings das Theater Bonn immer wieder an der Stärke des für das Stück maßgeblichen Textes zu zweifeln scheint und mit artifiziellen Szenen die zuvor mühsam aufgebaute Emotionalität mit Füßen tritt, erschließt sich weit weniger. Einen Gefallen tut sich das Haus damit auf jeden Fall nicht – zumal eine nahezu zeitgleich in Köln gespielte Inszenierung für seine offenbar bemerkenswerte Formstrenge großes Lob einheimste.

Dabei hatte das Theater Bonn zunächst einen Coup gelandet, als es dank einer Kooperation mit dem Staatstheater Darmstadt Samuel Koch für die Rolle des Menuchim gewinnen konnte. Der seit seinem Unfall bei „Wetten, dass“ querschnittsgelähmte Schauspieler als autistisch-epileptisches Problemkind, von seiner Mutter umsorgt, von seinen Geschwistern dafür gehasst und von seinem gläubigen Vater nicht verstanden – das garantiert Aufmerksamkeit, obwohl wenn es eigentlich dem Bestreben Kochs zuwider läuft, seine Behinderung nicht dramaturgisch auszunutzen. Dennoch meistert er seine Rolle auch ohne viele Worte souverän (nur „Mama“ kann Menuchim in der Obhut seiner Familie sagen, erst gegen Ende erhält er als inzwischen auf wundersame Weise durch die Musik geheilter Star-Dirigent ein paar längere Text-Passagen), ohne allerdings im Ensemble besonders hervorzustechen. Gleiches gilt für Daniel Breitfelder und Benjamin Berger in den Rollen der Brüder Schermajah und Jonas sowie Benjamin Grüter als Amerikaner Mac. Stärker schon Mareike Hein als lebens- und männerhungrige Mirjam sowie Sophie Basse als Mutter Deborah, die in ihrer Zerrissenheit zwischen der Sorge um Menuchim und ihrer Hoffnung auf Glück in den Staaten für einige der emotionalsten Momente des Abends sorgt. Und dann wäre da noch der exzellente Wolfgang Rüter als Mendel Singer, der umso beeindruckender wird, je stiller, desillusionierter und zerschmetterter er agieren muss.

Es hätte also eigentlich alles gut werden können. Wirklich gut. Doch die oft an ein Kammerspiel erinnernden Figurenentwicklungen, die kleinen, feinen, konzentrierten Dialoge konterkariert Regisseurin Sandra Strunz ein ums andere Mal mit übertriebenen Choreographien vor und auf dem die Bühne beherrschenden, an das Sonnensystem mit seinen Kreisbahnen erinnernden Klettergerüst. Dann ist es vorbei mit der gebotenen Zurücknahme und dem generierten Spannungsbogen, die Tragödie mutiert zum Circus: Wer nicht zappelt, hängt in der Luft, während jede Bewegung und jeder Ton (Musik: Rainer und Karsten Süßmilch) bis zum Rand mit Symbolhaftigkeit vollgestopft wird und an dieser Überfülle letztlich erstickt. Es sind nur kurze Szenen, die aber immer wieder für Irritationen sorgen. So bleibt denn der Bonner „Hiob“ hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurück. Dennoch gab es bei der Premiere kräftigen Applaus, vor allem für das starke Ensemble.

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