Die Alten aus der Anstalt: Der große Abschiedsbogen

Es ist die ultimative Lobhudelei: Georg Schramm im Purpur-Thron unter dem Bundesadler, seine Adjutanten, Freunde, Weggefährten und ehemaligen Anstaltsmitinsassen Urban Priol und Jochen Malmsheimer zu beiden Seiten, noch einmal in die Schlacht ziehend und das Große Ganze suchend, so wie die alte Lederhand, die auf diese Weise seinen Abschied von der Bühne zelebriert, es 25 Jahre lang getan hat. Dieses Spektakel, dass das Pantheon auf die Beine gestellt hat, will sich denn auch keiner entgehen lassen, auch wenn es, so verraten die beiden Verschwörer Priol und Malmsheimer, nur eine Probe für den großen Abend ist.

Egal: Der alte Plenarsaal erlebt einen Andrang, wie er ihm selbst zu Zeiten der Bonner Republik nicht zuteil wurde – und sieht einen großen Kabarettisten, der sich selbst kleiner macht als er ist. Der sich selbst zum „Tölpelmund“ erklärt, weil andere vor ihm schon alles gesagt haben, meistens besser und pointierter als er selbst und der auch durch seine Wiederholungen besagter Ideen keinen gedanklichen Wandel bei den Deutschen erreicht hat. „Was hat der Satz gebracht?“, fragt Schramm. Der einst zornige Vorkämpfer und Ankläger generiert sich nun als desillusionierter König Lear des politischen Kabaretts, bezeichnet gar (für Schramm die völlige Selbstkasteiung) Vernunft und Aufklärung als überschätzt. Ein Trauerspiel.

So kann ein Schramm doch nicht abtreten! Selbst Priol und Malmsheimer sind entsetzt – eine ermüdende Kapitalismuskritik mit der normativen Kraft des Faktischen wollten sie verhindern, nicht aber den Ehrwürdigen ins Jammertal werfen. Nun sind sie es, die beweisen müssen, dass Schramm mit seinen Figuren (Lothar Dombrowski, Drucker August und Oberstleutnant Sanftleben) ein Erbe hinterlässt. In ihnen, zum Beispiel. „Den Mut zum Zorn“ hat Malmsheimer nach eigener Aussage von ihm gelernt, die Dombrowskische Wucht und den dazu gehörigen Furor, den der Sprachtitan allerdings, ein feineres Liebeswerben und eine Zunahme von Duellen fordernd, weniger für politische als vielmehr für gesellschaftliche Kritik nutzt. Und Priol, der verrückte Tausendsassa, der laut Schramm „immer hoch springt und dann in den Parodien landet“? Kann sich dem nur anschließen. Wie allerdings dann die albernen Auftritte von Letztgenanntem als Altkanzler Helmut Kohl sollen, der von Malmsheimer im Rollstuhl in die Saalmitte gefahren wird und dabei letztlich nur die Funktion eines Zirkusclowns übernimmt, in das Gesamtkonzept passen, bleibt bis zum Schluss fraglich.

Bei aller Begeisterung für das Wirken dieser Anstalts-Generation, die unter dem Bundesadler nach anfänglichem Zögern zur Topform findet und gewohnt eloquent Europas Wirtschaftsprobleme, Demokratie auf Ramsch-Niveau und Russland-Sanktionen analysiert und seziert, bleibt allerdings ein Hauch von Skepsis an der Dramaturgie dieser Show bestehen. Natürlich seien den dreien ihre Soli gegönnt, zumal gerade die ziselierte Rede Malmsheimers unbestritten der Höhepunkt des Abends ist. Doch zugleich fehlt es trotz gemeinsamer Auftritte am Zusammenspiel, an einem wirklichen Mit- statt an einem Nebeneinander. Vor allem inhaltlich: Die Enttäuschung Schramms, der Nexus des Programms, bleibt letztlich ungelöst – das Publikum hat seine Wirkung verstanden, er selbst darf sie innerhalb der Handlung aber nicht realisieren. Keine Katharsis für 25 Jahre gnadenlosen Einsatz im Dienst der Aufklärung, keine Versöhnung mit der eigenen Figur. Selbst die Dankesrede Schramms, in der dieser auf den alles vorwegnehmenden William Shakespeare verweist und die eine Antwort auf die anfängliche Frage nach der Wirkung des eigenen Handelns hätte geben können, wird nach wenigen Sätzen unterbrochen. Der große Bogen bleibt so ungeschlagen. Schade.

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