Peter Gabriel: Die Aktualität der Vergangenheit

Ein Visionär blickt zurück – und sieht das Heute. So könnte es Peter Gabriel gehen, wenn er auf der Bühne sein Œuvre zelebriert, kurzerhand das komplette „So“-Album, mit dem er vor 28 Jahren seinen endgültigen Durchbruch als Solo-Künstler feierte, en suite spielt und dabei zum Teil erstaunlich modern wirkt, sowohl in musikalischer als auch in textlicher Hinsicht. So jetzt auch in der Kölner Lanxess-Arena, wo der Meister vor 15.000 Fans auftrat und mit seinem dreistündigen Nachschlag zur „Back to Front“-Tour keine Wünsche offen ließ.

Dabei hielt sich Gabriel zunächst zurück, überließ in den ersten 20 Minuten seinen Background-Sängerinnen Jennie Abrahamson und Linnea Olsson die Bühne, die mit minimalistisch-mystischen, atmosphärischen Eigenkompositionen zu verführen versuchten – was bei diesen Stimmen auch durchaus gelang. Allerdings mangelte es den Songs an Entwicklung, an Wachstum, an jenem Varianten-Reichtum, den Gabriel in seinen eigenen Werken immer wieder erfolgreich nutzt. So wirkte der Anfang nett, aber etwas belanglos, zumal die sich darin anschließende Umbaupause, in der sich unter anderem Techniker an freischwebenden Strickleitern wie Matrosen zu den seitlichen Spots emporhangeln, einen unnötigen Bruch darstellte. Nach dem Einlullen direkt wieder das Erwachen. Ein Zustand, der zunächst anhielt: Die ersten Songs von Peter Gabriel präsentierte dieser bei angeschaltetem Saallicht, auf die etwa 15.000 Fans blickend, die zum großen Teil mit ihm gealtert sind. Hier ist kein Platz für Illusionen oder Nostalgie.

Dann wurde das Licht trotzdem gedämmt: Der Zauber konnte beginnen. Im Vergleich zu früheren Konzerten wirkte die Show beinahe minimalistisch, auch wenn mehrere mit Strahlern bewehrte Lichtkräne immer wieder zum Einsatz kamen, Peter Gabriel verfolgten, überragten, ihn mal tanzen ließen und ihm dann wieder bei „Mercy Street“ ganz nahe kamen, ihn beinahe schützend umgaben, während er auf dem Boden in einer Zielscheibe lag. Daneben natürlich viele Effekte auf den Videowänden, digitale Feuerregen oder Polygon-Skizzen der exzellenten Musiker (Gitarrist David Rhodes, Bassist Tony Levin, David Sancious an den Keyboards und der geniale Schlagzeuger Manu Katché) – Gabriel ohne Animationen wäre schließlich auch undenkbar. Auf Boote, Fahrräder oder Leuchtjacken verzichtete er aber diesmal.

Musikalisch zeigte sich Peter Gabriel von seiner besten Seite. Natürlich durften Hits wie „Solsbury Hill“ nicht fehlen, „Sledgehammer“ und das kitschige, aber auch wunderschöne „Don't give up“ waren ja ohnehin im „So“-Programm. Bei letzterem ersetzte Jennie Abrahamson mit astreinem Sopran Kate Bush, während Gabriel zeigte, wie prägnant er auch in den Höhen noch klingen kann, bevor eine kleine Reggae-Variante den Einsatz des Publikums forderte. Gabriel war derweil auf flinken Füßen unterwegs, mal tänzelnd, mal stolzierend, rüber zum Keyboard, dann wieder mit dem Schellenkranz in die Bühnenmitte oder nach hinten zu seinen Band-Kollegen. Mit Rhodes und Levin baute Gabriel sogar eine kleine augenzwinkernde Boygroup-Choreographie auf, bei der die drei Glatzköpfe sich lässig um die eigene Achse drehten. Sie sind sowieso alterslos. Zumindest an diesem Abend. Bis am Ende dann, wie so oft bei Gabriel, das Anti-Apartheits-Lied „Biko“ ertönte und man sich bewusst wurde, dass dieser Titel schon fast 35 Jahre alt ist. Und der zugrunde liegende Konflikt eigentlich doch nur eine neue Maske trägt. Da wären ein paar neue Visionen irgendwie angebracht. 

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