„Die menschliche Stimme“ // „Die Unterrichtsstunde“: Das ständige Spiel mit der Wahrheit

Wahnsinn herrscht in beiden Stücken: Manie und Hysterie in dem einen, psychopathisch-sadistisches Intellektuellen-Spiel in dem anderen. Verschiedene Formen, doch gleichermaßen verstörend, wie das Euro Theater Central jetzt bewiesen hat. Das kleine Haus am Mauspfad hat Jean Cocteaus „Die menschliche Stimme“ und Eugène Ionescos „Die Unterrichtsstunde“ miteinander verbunden, den mit zerbrochenen Sehnsüchten gepflasterten Monolog einer Verlassenen und die absurde Parabel über Wissen, Wahrnehmung und Erkenntnis, zwei kleine surreale Theaterperlen, die Regisseur Peter Törmöry noch weiter verdichtet und in die Dunkelheit gezogen hat.

In seiner Inszenierung ist die namenlose Frau aus Cocteaus Solostück zutiefst verwirrt, seit der Trennung von ihrem Partner ein seelisches Wrack, Tablettensüchtig, suizidal und in einer Phantasiewelt lebend, in der die Liebe weiterhin Bestand hat. Das Telefon, mittels dem sie – teils imaginär, teils real – mit ihrem Ex-Freund kommuniziert, dient ihr als Ankerpunkt, erlaubt ihr einen Schein von Stärke und Geschäftigkeit, ermöglicht ihr Lügen und Täuschungen, auch wenn diese sich immer wieder in Luft auflösen. „Ich habe doch nur für dich gelebt“, sagt sie in der Hoffnung, ihren Geliebten so zurückzugewinnen, der sie selbst doch nur ständig täuscht. Nadja Soukup verleiht dieser tragisch zerschmetterten Gestalt ein kräftiges Maß an manischer Depression und hysterischer Verzweiflung – ein zur Rolle passender, für die Zuschauer aber auf Dauer leicht anstrengender Ansatz.

Nicht minder düster, aber weitaus grotesker und dadurch umso bedrohlicher kommt Ionescos „Unterrichtsstunde“ daher: Sorgen die absurden Ausführungen des Professors gegenüber seiner Schülerin, die er auf ein Studium „in allen Fakultäten“ vorbereiten soll, zunächst noch für den ein oder anderen Lacher, lösen selbige im späteren Verlauf eher eine Gänsehaut aus. Je mehr das ursprünglich selbstsichere Mädchen (Virginie Cointe), das mangels Verständnis selbst einfacher mathematischer Grundprinzipien kurzerhand die Ergebnisse sämtlicher möglicher Multiplikationen auswendig gelernt hat, kleinlauter und verängstigter wird und je dominanter der sich in skurrilen Sprachphilosophien verzettelnde Dozent wird (meisterhaft: Thomas Franke mit exzellentem Duktus zwischen Lüsternheit und irrsinniger Arroganz), sinkt auch das Publikum in sich zusammen. Immer weiter schraubt sich diese intellektuelle Höllenfahrt in die Abgründe der Absurdität, nähert sih immer mehr der Grenze des Erträglichen. Bis es am Ende, orchestriert von der grell-dämonischen Marie (Nadja Soukup), zur beinahe schon erlösenden Katastrophe kommt. Und der tödliche Kreislauf rund um den Lehrstuhl von Neuem beginnt. 

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