„Käthe Hermann“: Gestörte Welt in vier Wänden

Gefangen in einer Traumwelt, gefesselt von Sehnsüchten und Familientreue, dem Wahn verfallen und der Hilflosigkeit ergeben, vegetieren sie dahin, die Hermanns aus Anne Leppers hochgelobter Groteske, die nun im Euro Theater Central unter der Regie von Konstanze Kappenstein auf die Bühne gebracht worden ist. Mutter Käthe, die Titelfigur des Stücks, sieht sich immer noch als große Ballerina und Vorbild einer ganzen Nation; der verkrüppelte Sohn Martin spricht andauernd von sich als heldenhaftem Beschützer Rocco; und Tochter Irmi wartet auf ihr offenbar nach einer Vergewaltigung empfangenes und dann ausgesetztes Kind, das irgendwann als Retter in der Not zu ihr zurückkehren werde.

Eine dreifache Realitätsflucht, die ein spannendes psychologisches Kammerspiel erwarten lässt. Doch dies erfüllt sich in der Bonner Inszenierung nur zum Teil – denn indem Kappenstein ihre Schauspieler direkt die volle Ausprägung ihrer jeweiligen Manien offen legen lässt, verzichtet sie auf Charakterentwicklungen, setzt auf Dampfhammer-Wahnsinn statt schleichenden Verfall. Damit vermag „Käthe Hermann“ – nicht zuletzt dank einer starken Besetzung – das Publikum weiterhin zu packen, eine emotionale Bindung an die Figuren, die den gezeigten Schrecken noch potenziert hätte, kommt jedoch kaum auf.

Einzig Irmi, von Doris Lehner brillant gespielt, schafft es, das Publikum einzufangen: Sie, die zumindest noch einen Anschein von Normalität bewahrt und die immer wieder vergeblich darauf drängt, die vom Abriss bedrohte Wohnung zu verlassen, ist am greifbarsten, am differenziertesten. Sie versteht man noch irgendwie, erkennt den Leidensdruck durch die dominante Mutter und den sexuell begierigen Bruder, durch den immer wieder ein Fünkchen Hoffnung hindurchschimmert, ein kurzes Aufblitzen einer Chance abseits dieser familiären Hölle, der kurz darauf wieder erlöscht und dadurch das Drama erst so richtig spürbar werden lässt. Demgegenüber bleibt Wieslawa Weslowskas Käthe schablonenhaft irr, ein überdrehtes manipulatives Weib, das in abstrusen Verrenkungen zu viel zu lauter Musik durch die marode Wohnung tanzt, egomanisch ihre Lebensweise als die einzig richtige und sich selbst als die zukünftige Hohepriesterin der Gesellschaft sieht, durch fehlende Momente der Klarheit aber jegliche Identifikationsmöglichkeit und jedes Mitgefühl verweigert. Ähnlich ergeht es Martin, der allerdings unter einer gewissen Textarmut leidet, sich kaum selbst erklären und offenbaren darf. Frank Musekamp tut trotzdem sein Möglichstes, um dieser Figur Kontur zu geben, legt eine gehörige Portion Verachtung in seine Stimme und robbt ansonsten, da die Beine ja nutzlos sind, immer wieder über die Bühne, Käthe gegen Irmi ausspielend und vor allem letztere damit in den Abgrund stürzend.

Irgendwann ist es Irmi zu viel: Als Käthe und Martin sie zu überzeugen versuchen, dass ihr namenlose Junge nicht mehr kommen würde, dass er tot sei und all ihre Hoffnung vergebens, zersplittert das ohnehin schon mächtig angeknackste, verzerrte Spiegelbild der bürgerlichen Familie endgültig. Zumindest für Irmi, die sich das Leben nimmt und damit ihren lebensunfähigen Bruder und ihre geistig verwirrte Mutter dem Untergang preis gibt. Auch wenn die das nicht realisieren, es auch nicht können, selbst den Selbstmord als Geschenk und Möglichkeit einer Profilierung sehen. „Jetzt hat die Irmi uns die Gelegenheit gegeben, zu trauern und der Welt zu zeigen, wie so etwas geht“, freut sich Käthe am Ende. Sie sollte lieber um sich selber weinen. Ein anderer wird es nicht tun. Schon gar nicht das Publikum. Das gedenkt lediglich der aufopfernden und zu spät aufmüpfigen Irmi.

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