Matthias Brodowy: Chaotiker im Kampf für gehobenen Blödsinn

Das Geständnis kommt gleich zu Beginn. „Bevor es Missverständnisse gibt: Ich hab sie nicht alle“, erklärt Matthias Brodowy, bekennender Chaotiker („ich bin kein Chaot, ich mache das bewusst“), Multitasking-Kabarettist und Vertreter des gehobenen Blödsinns. Bei letzterem ist das Adjektiv entscheidend, denn der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 2013 will auch im Bonner Pantheon nicht ziellos herumalbern, sondern der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, die Komik des Alltags entlarven und die Logik der Zahlen ad absurdum führen, die die Welt immer weiter in den Wahnsinn zerrt.

Die Macht der Märkte und der Banken, der Bits und Bytes ist Brodowy suspekt. Gegen dieses Leben unter der Fuchtel von Algorithmen will er rebellieren – von wegen Stärkung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), ganz andere Dinge sind wichtig. Etwa die Unterscheidung von Pluralismus und Egomanie. Die Tatsache, dass Helgoland nicht früher Sansibar hieß und die ostfriesischen Inseln nicht zu Nordrhein-Westfalen gehören. Oder die Rücksicht, im Kaufhaus nicht am Ende einer Rolltreppe abrupt stehen zu bleiben, um sich, anderen den Weg versperrend, zu orientieren. Kleinigkeiten? Vielleicht. Aber sie lassen sich auf den Zustand des Landes herunterbrechen. Und das macht Brodowy leidenschaftlich gerne.

„Ich wollte einmal auf die Bühne gehen, ohne mich zu echauffieren“, sagt Brodowy zu Beginn seines Programms „Kopfsalat“. Schafft er natürlich nicht. Zu viel regt ihn auf: Etwa die gestörte Kommunikation mittels einer Sprache, die von den einen mit der Einstellung eines verschrobenen Pitbulls verteidigt („Nachsteller“ statt „Stalker“ und „Klapprechner“ statt „Notebook“) und von den anderen nur noch höchst unzulänglich beherrscht wird („Ich bin McFit“). Oder der Schnüffelwahn der Geheimdienste, bei denen die NSA nur die Spitze des Eisbergs ist, während die gleichgültige Haltung der Menschen, ob im Internet oder im Schweigeabteil der Deutschen Bahn, ohnehin das größte Armutszeugnis darstellt. „Wenn unsere Kinder oder Enkel uns eines Tages fragen, 'Warum habt ihr nichts gesagt', was antworten wir dann? Wir können schließlich nicht behaupten, wir hätten von nichts gewusst.“ Tatsächlich wissen wir oft zu viel. Nur müsste man auch was damit anfangen können.

So mäandert Brodowy mit scharfer Satiriker-Zunge von einem Thema zum nächsten , fordert zur verbesserten Fußpflege auf (denn Entspannung kommt von der Basis, wie die SPD noch lernen muss), erzählt von seinen Alpträumen als Fiskalpakt und „Jeanny“-mäßigem Sigmar Gabriel in der Hand von Sarah Wagenknecht oder konterkariert seine teils philosophisch angehauchten Passagen mit Fragen über den leider nicht umkehrbaren Wandel von Bier zu Schal. Dabei setzt er auch auf seine grandiosen Lieder und Gedichte, kleine poetische Juwelen voller Biss und Eleganz, irgendwo zwischen Konstantin Wecker und Wilhelm Busch zu verordnen, sofern Brodowy nicht gerade einen Buckelwalgesang anstimmt. Was glücklicherweise nur einmal geschieht. Aber auch das gehört zu jenem Wunsch nach ein bisschen mehr heilsamen Blödsinn in der Welt. Sollte jeder mal versuchen. In welcher Weise auch immer. Einfach mal etwas Verrücktes tun, um zu zeigen, dass man sich nicht in die Mittelmäßigkeit einfügt, sich nicht einfach irgendwo abheften lässt. Denn wie Brodowy zu Recht sagt: „Das Leben ist schließlich kein Leitz-Ordner.“

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