Benjamin Tomkins: Applaus für einen Daumen

Henriette hat den Durchblick. Mit imaginären Salaten kann man sie nicht täuschen, da kann der Mitvierziger neben ihr sich noch so sehr bemühen. Dennoch spielt die gutmütige Schildkrötendame mit dem Endsilbenspätzündungssyndrom das Spiel mit, spricht mit dem Grünzeug, leidet sogar mit ihm. Hauptsache, es macht Benjamin Tomkins glücklich – oder bringt ihn um den Verstand. Wahrscheinlich beides. Dafür sorgen seine Puppen schon, die bei den Auftritten des Bauchredners ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. So wie jetzt im Pantheon-Casino.

„Früher war ich schizophren, aber jetzt sind wir wieder OK“, lautet Tomkins' Motto. Schließlich wurden die anderen Persönlichkeiten ausgelagert, stecken nun unter anderem im ängstlichen Hund Chico, einem kindlichen Dinosaurier, dem großartig-grantigem Alten Sack und einer Fliege namens Der Hildegard. Putzige Stoffpuppen, mit denen das Publikum sofort mitfühlt. Dabei setzt Tomkins ganz bewusst auf die Zerstörung von Illusion, betont immer wieder seine Bauchrednerfähigkeiten, erklärt seinen Figuren sogar, dass sie nur Puppen sind (was etwa der Alte Sack nicht ohne weiteres akzeptieren will, während die ausgefuchste Henriette schon längst aufgeklärt ist). Doch dann schauen diese riesigen Unschuldsaugen wieder in den Saal, und die Zuschauer schmelzen dahin. „Sie applaudieren meinem Daumen“, ruft Tomkins gegen Ende ganz konsterniert, nachdem er mit einer Fingerpuppe etwas rabiat umgesprungen ist und diese Mitleidsbekundungen und Zuspruch aus dem Publikum erhält. Ja, dem Daumen – als Symbol für das Talent, Puppen so zu animieren, wie der 47-Jährige dies vermag. Das kann nicht jeder, wie sich in dem Moment herausstellt, als vier Zuschauer die Puppen übernehmen sollen und mit deren Mundbewegungen zu kämpfen haben.

Natürlich erfindet Tomkins das Genre nicht neu, reiht sich vielmehr ein in die erfolgreiche Tradition von Künstlern, an deren Ende derzeit unter anderem Sascha Grammel und Michael Hatzius stehen. Und jetzt eben ein umtriebiger Autodidakt aus Österreich, der erst vor zwei Jahren, als Alternative zum Gebrauchtwagenverkäufertum, mit seiner Kunst angefangen hat. Bemerkenswert, was er in dieser Zeit bereits gelernt und umgesetzt hat. Vor allem Henriette und der Alte Sack sind hervorragende, vielseitige Figuren, so dass es bei letzterem noch nicht einmal die dauerhaften Wortspiele stören: Wenn der Jutekopf von seinem Sacksophonspiel in der Sackristei erzählt, sind Lacher garantiert. Dies gilt auch bei manchen Solo-Einlagen von Tomkins, vor allem wenn er seine Gedanken bauchrednerisch präsentiert oder von kleinen Streichen erzählt, die er jungen Müttern mit Kinderwagen oder nervigen Tontechnikern spielt. Doch manchmal treibt der Puppenflüsterer es etwas zu weit – als er beim großen Finale einem Mann aus dem Publikum einen künstlichen Kiefer verpasst und ihn damit in eine menschliche Bauchrednerpuppe verwandelt, ist die Grenze zur Lächerlichkeit nah. Ein ganz gefährliches Pflaster. Dann doch lieber Stofftiere verwenden. Die verzeihen deutlich mehr. Zumindest die meisten.

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