Expressway Sketches + Nadolny & Plümer: Zwischen luftigem Saxofon und scharrender Kaffeemühle

„Jazz ist mehr als ein Musikstil. Jazz ist eine Herangehensweise“, steht im Programmheft des diesjährigen Jazzfest Bonn. Ein Zitat, das hervorragend zum Doppelkonzert in der Brotfabrik passt, bei dem am Sonntagabend vor allem im ersten Teil viele Hörgewohnheiten beiseite gelegt werden mussten. Denn das umjubelte Spiel des Trios Expressway Sketches ist provokant, herausfordernd, ein einziges riesiges Experiment, das gängige Begrifflichkeiten sprengt. Nur zehn Minuten haben sich die drei Musiker für die Komposition ihrer Stücke gegeben, zehn Minuten, in denen alles gesagt werden muss. Kreativität unter Zeitdruck.

Das Ergebnis sind wirkliche Skizzen (englisch: Sketches), unfertig-rohe Dreiminüter, die teilweise völlig schräg wirken – ein Eindruck, den vor allem Keyboarder Benjamin Schäfer mit dem Einbezug von knisternd-störenden Noises bewusst verstärkt. Damit dekonstruiert er etwa die schöne Balladenmelodie von „Moritat“, die Gitarrist Tobias Hoffmann, der harmonischste der Drei, elegant und gefühlvoll einspielt – doch schließlich soll eine Moritat nicht angenehm sein. Und so lässt Schäfer es knistern und knacken, während Drummer Max Andrzejewski mit einer Kaffeemühle über das Schlagzeug fährt.

Immer wieder fallen Expressway Sketches aus dem Raster: Der „Monokel-Blues“ wird seinem Namen im total atonalen Auftakt zunächst nicht gerecht, während im weiteren Verlauf zwar das harmonische, nicht aber das rhythmische Gerüst steht. Gefälliger ist da das aus einem ziemlich schrägen Schlagzeug-Solo geborene „Mango“, das ebenso wie das schöne „Wasserrutsche“ Erinnerungen an Desert-Rock und Italo-Western wachruft, Spielarten, in denen sich vor allem der blueslastige Hoffmann wohl zu fühlen scheint. Dazwischen immer wieder Störelemente, eigenwillige Einwürfe, die alles auseinanderdriften lassen und die Musiker vor die Aufgabe stellen, die verschiedenen Musikteile wieder zusammenzufügen. Ist das noch Jazz? Oder doch zum Teil Neue Musik, gepaart mit mehreren Prisen Alternative Rock? Oder spielt der Stil eigentlich gar keine Rolle mehr, getreu dem anfänglich genannten Zitat?

Weitaus traditioneller wirkt im direkten Vergleich das Spiel von Saxofonist Matthias Nadolny und Bassist Gunnar Plümer, obwohl auch hier die Beantwortung der Stilfrage nicht ganz leicht fällt. Dafür lässt das Duo zu viele Möglichkeiten offen. Über wunderbar entspannte Bassläufe haucht Nadolny seinen von viel Luft und Wärme geprägten Sound, spielt etwa im Jazz-Standard „Darn that dream“ die Melodie hervorragend heraus und zeigt in dem harmonisch an „Harlem Nocturne“ erinnernden „Waltz for Pee Wee“ sein ganzes gefühlvolles Potenzial. Plümer, der unter anderem an der Bonner Musikschule bis heute für die Jazzabteilung verantwortlich ist, zeigt dagegen etwa bei Cole Porters „Everything I love“ seine herausragenden Solo-Qualitäten, wahndelt zielsicher und ohne jede Hektik über die Saiten, dem prägnant-weichen Saxofon ein ebenbürtiger Partner. 

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