„Ein Kind unserer Zeit“: Ziellose Verstümmelung einer seelischen Wandlung

Eigentlich ist Ödön von Horváths „Ein Kind unserer Zeit“ ein Roman von knapp 200 Seiten Umfang. Den Text für ein einstündiges Theaterstück aufzubereiten ist somit von vornherein ein fragwürdiges, auf jeden Fall aber ein schwieriges Unterfangen, verlangt es doch eine drastische Reduktion auf das Wesentliche und die konsequente Streichung aller Nebenstränge. Genau dies hat Bastian Tebarth, dessen Inszenierung am Donnerstag im Euro Theater Central Premiere feiern konnte, aber leider vermieden. Das Ergebnis ist ein konfuses Wort- und Ideengestrüpp, das zwar die Intention des Texts noch rudimentär erkennen lässt, von einer klaren Form aber weit entfernt ist.

Philip Schlomm gibt in diesem Ein-Personen-Stück den zynischen Ich-Erzähler, der sich vom treuen Soldaten zum desillusionierten Kriegsveteranen wandelt. Mitten auf der den Zuschauerraum in zwei Hälften trennenden Bühne berichtet er mit einem Dauergrinsen und einer leichten, aber immer wieder spürbaren Textunsicherheit von dem Halt, dem ihm als Arbeitslosen die Armee geben konnte, von seinem Stolz aufs Nazi-Vaterland, von seiner stolz geschwellten Brust im Angesicht des Bürgertums. Doch dahinter lauert ein andauernder Hass auf die Gesellschaft, die ihm keine Perspektive geben will oder kann. Erst recht nicht, nachdem er bei einem Einsatz seinen suizidalen Hauptmann zu retten versucht, sein Arm daraufhin von Kugeln zerschmettert wird und der Erzähler wieder auf der Straße sitzt. Ein Bettler, der nichts mehr hat außer einer ihn arbeitsunfähig machenden Verletzung und zerstörten Träumen.

Hätten Tebarth und Schlomm sich auf diesen durch diverse Zeitsprünge ohnehin schon hinlänglich komplexen Handlungsstrang beschränkt, hätte das Sprechdrama fokussiert wirken können. Stattdessen flechten die beiden Frauengeschichten ein, vor allem die für die Kernaussage unnötige, da nicht näher erläuterte Beziehung zur Witwe des Hauptmanns. Langatmige Passagen, die in ihrer gekürzten Form mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten und zugleich Zeit verschwenden für wichtigeres. Etwa für die ethnischen Säuberungen, die der Erzähler während des Kriegseinsatzes willig vollzieht, oder für eine Ausweitung des Motivs der fünf Taler, die er einst einem Bettler nicht gab und die ihm im Roman immer wieder schwer in der Tasche liegen – beides fiel dem Rotstift zum Opfer.

Neben den fraglichen Textentscheidungen zeigen sich auch dramaturgische Schwächen. Warum sich Schlomm etwa in einer Szene vollkommen entkleiden und neu anziehen muss, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Gesinnungswechsel noch gar nicht stattgefunden hat, ist völlig unklar. Auch das umständliche Basteln einer Papierpistole scheint mehr Beschäftigungstherapie denn symbolisch bedeutsamer Akt zu sein, während die scheinbare Beliebigkeit der immer wieder anachronistisch durch ein Smartphone eingespielten Lesepassagen nicht minder irritiert. Erneut mangelt es an einer klaren Struktur, an Konzentration – was auch außerhalb der Textebene deutlich wird, als Schlomm an einer Stelle völlig hängt, den soufflierenden Regisseur Tebarth gar noch dezidiert nach den nächsten Worten fragen und dieser zunächst die richtige Seite suchen muss. Ein Fehler, der bei einer Premiere einfach nicht passieren darf und nur als ein weiteres Zeichen der Überforderung mit dem Horváthschen Roman gedeutet werden könnte. So gibt es denn auch am Ende dieses verwirrenden Fragmentariums lediglich höflichen Applaus. 

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