Martin Rütter: „Aggression ist ein normales Verhalten“

Der tut nix! Von wegen. Reden tut er, erklären, lehren. Massenerziehung in der Beethovenhalle. Martin Rütter ist in seinem Element, sorgt sich um das Wohl der Hundewelt und versucht daher, beim größten Problem der Tierart anzusetzen: Dem Menschen. Jenen, die die Unarten von Hasso, Ronja und Bella gerne schönreden, weil sie sich nicht eingestehen können, dass sie beim Ziehen von Grenzen versagt haben. Jenen, die spontan ein neues Familienmitglied erwerben, ohne sich über die speziellen rassetypischen Anforderungen zu informieren.

Und jenen, die ihren Hund einfach frei durch die Gegend flitzen lassen, weil der ja nix tut – außer Jogger verfolgen, Menschen bespringen oder auf andere Artgenossen zustürmen, dessen Reaktion vielleicht nicht so positiv ist. Diesen Menschen redet Martin Rütter ins Gewissen. Und zwar deutlich.

„Es ist ziemlich respektlos, wenn man seinen Hund einfach überall hinrennen lässt“, findet Rütter, der regelmäßig entweder mit ängstlichen oder aggressiven Exemplaren zu tun hat. „Wenn ich nach langem Training mit so einem Tier endlich die Probe aufs Exempel machen will und in die Rheinauen gehe, kommt da garantiert ein freilaufender Hund auf uns zu. Und der Besitzer ruft ihn nicht zurück – häufig weiß der nämlich gar nicht, wie das geht.“ Aber beim Menschen liegt das Problem natürlich nie. Wenn es überhaupt eins gibt. Nur beim Hund, den viele einfach nicht verstehen. Oder verstehen wollen. Der guckt ja so lieb! Und so heben viele Besitzer ihr Tier auf ein Podest, hofieren es, verwöhnen es und wundern sich, dass etwa als Solitärjäger gezüchtete Dackel auf gegebene Kommandos nur sehr selten reagieren oder Schäferhunde sich wie Parkpolizisten aufführen und versuchen, zugedröhnte Bassets in Gewahrsam zu nehmen.

Größtes Manko in der Jahrtausende alten Beziehung zwischen Hund und Mensch ist mangelnde Kommunikation. Und genau hier kommt Martin Rütter ins Spiel – laut einem sehr pathetischen Einspieler der einzige, der beide Spezies versteht. Der Bürgermeister von Dogs City. Die Super-Nanny mit Wuff. Doch so übertrieben diese Ankündigung auch klingt, die Kompetenz Rütters zieht niemand in Frage. Der Mann weiß, wovon er spricht. Ein Schwerpunktthema seines aktuellen Programms „Der tut nix!“ sind Angst und Aggression ("beides in Maßen ganz normale Verhaltensweisen"), und so berichtet der Hundeprofi ausgiebig von Fällen aus seiner Arbeit – oder greift auf ein Erlebnis im letzten Mallorca-Urlaub zurück, bei dem eine canifizierte RTL2-Familie nach dem Wegräumen von markierenden Handtüchern deutliche Anzeichen von Territorial-Aggression entwickelte. Der Mensch dient zur Erklärung von Hundeverhalten – bei Rütter eine beliebte Technik. Ebenso wie der Rückgriff auf eigene Erfahrungen. Selbst wenn die sehr persönlich sind. So erzählt der 42-jährige vierfache Familienvater bereitwillig, wenn auch mit teils schmerzverzerrter Miene, von der eigenen Sterilisation in einer Bonner Spezialklinik. Seelenstriptease für die Show.

Bei all den amüsant präsentierten hilfreichen Informationen über das Verhalten der Hunde fällt es den meisten Gästen leicht zu vergessen, dass der Rütter-Kult auch der Kern einer gigantischen Vermarktungsmaschinerie ist. Bücher, CDs, DVDs und T-Shirts werden kräftig beworben, ebenso wie jene Hundeschulen, die sich dem Rütter-System „D.O.G.S.“ angeschlossen haben, gewissermaßen Franchise-Nehmer und zugleich Teil einer angesehenen Marke geworden sind. Ein nicht zu verachtender Wettbewerbsvorteil, unabhängig von der Liebe zum Tier. Denn bei aller Marktmacht nimmt man Martin Rütter doch ab, dass die bei ihm immer im Vordergrund steht.

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