Hagen Rether: „Wir müssten viel mehr trauern“

Es ist kein Geheimnis, dass die Welt den Bach runtergeht. Mal wieder. Die Gletscher und die Polkappen schmelzen, im Meer findet sich sechsmal so viel Plastik wie Plankton, die Eisbären und Igel stehen kurz vor dem Aussterben – und trotzdem wird der riesige Neokortex des Homo Sapiens in erster Linie dafür genutzt, sich in den dunkelsten Ecken des Internets herumzutreiben und darüber zu klagen, dass man das N- und das Z-Wort nicht mehr verwenden dürfe. Da kann jemand wie Hagen Rether nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Das ist nicht nur doof, das ist einfach schade“, sagt der nachdenkliche und mitunter resigniert wirkende Kabarettist in der ausverkauften Bonner Oper, wo er die neue Spielzeit der Reihe „Quatsch keine Oper“ eröffnet. Doch was will, was kann man machen? Trauern, sagt Rether. Und dann weiter kämpfen.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



In gewisser Weise hofft der 55-Jährige auf einen katharischen Moment, wenn endlich eine Mehrheit realisiert, was alles unwiederbringlich verloren gegangen ist. Und zwar nicht nur wegen des Klimawandels. Ein Blick in die USA, wo Donald Trump derzeit mit geradezu manischem Enthusiasmus Bibliotheken und Museen plündert und jedes unerwünschte Wissen auf einen Scheiterhaufen wirft, reicht dafür völlig aus. Von den anderen Strukturen, die der Troglodyt im Weißen Haus samt seiner Handlanger derzeit schleifen lässt, ganz zu schweigen. „Das kriegt man alles nicht wieder hergestellt“, moniert Rether. „Darüber muss man doch mal weinen.“ Die Ohnmacht und den Schmerz rauslassen, aufschreien – und sich dann wieder aufraffen. Denn einfach aufgeben, ist keine Lösung. Auch wenn es schwer wird. Sehr schwer, insbesondere beim Klimawandel. Und das nur, weil niemand auf die Warnungen hören wollte, die schon vor vierzig oder fünfzig Jahren von allerlei Kassandras aus dem grünen Lager geäußert wurden.

 

Rether vergleicht das Volk in diesem Zusammenhang mit einem Teenager, der sich nie die Zähne geputzt hat und jetzt feststellen muss, dass er nur noch Ruinen im Mund hat. Dann muss man jetzt eben in den sauren Apfel beißen und die Zeche zahlen. Sich stattdessen mit verschränkten Armen hinstellen, das gesamte System ablehnen und Faschisten wählen, ist doch keine Alternative. Man ersetzt nur den Zahnarzt durch einen Schläger, der mit Vergnügen auch noch die letzten Beißerchen ausschlägt. Was aber aus irgendeinem Grund rund 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler gut zu finden scheinen.

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Natürlich lässt sich der Frust in der Bevölkerung nicht einfach nur als unverhältnismäßiges Gemecker abtun. Es gibt ja genug im Land, was schief läuft. Die Schuldigen hat Hagen Rether denn auch schnell gefunden, in den Reihen der FDP sowie bei CDU und CSU. „Warum sind eigentlich Dobrindt und Scheuer immer noch da, während Robert Habeck nach einem vermurksten Gesetz den Hut nehmen musste?“, will er wissen. Eine berechtigte Frage. Allerdings stilisiert Rether den einstigen Vizekanzler schnell zu einem unverstandenen Märtyrer, was seinerseits ein bisschen zu ideologiegefärbt wirkt. Und zu konstruiert. Ohnehin hat Rether, der wie üblich an seinem Flügel sitzt, ein paar Momente, in denen er sehr sprunghaft wirkt und seine Ausführungen zugleich Substanz vermissen lassen. Vielleicht ist das aber auch nur die Trauer. Denn zumindest Hagen Rether lässt dieses Gefühl offenbar zu. Wie sollte er sonst mit seinem Kabarett weitermachen? Zumindest diese Lektion kann man nach gut drei Stunden dann doch mit nach Hause nehmen.


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