Jazzfest Bonn: Tastenzauber und Vokalmagie

Ein perfektes Finale für ein herausragendes Festival: Die letzten beiden Doppelkonzerte des eigentlichen Jazzfests Bonn haben einmal mehr Vielseitigkeit und Kreativität in den Mittelpunkt gestellt und eindrucksvoll gezeigt, dass der Musik kaum Grenzen gesetzt werden kann. Zumindest nicht, wenn Hochkaräter wie Jasper van’t Hof, Andreas Schaerer und Hiromi Uehara auf der Bühne stehen und voller Leidenschaft verschlungene, verschnörkelte und verzaubernde Melodielinien zwischen Pop und Modern Jazz präsentieren. Sofern man eine derartige stilistische Einordnung überhaupt vornehmen kann.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



Für Andreas Schaerer gilt genau dies nämlich mit Sicherheit nicht. Der Vokalkünstler, der mit seiner Stimme so ziemlich alles machen kann und angesichts seiner Brillanz und seiner enormen Bandbreite in einem Atemzug mit Al Jarreau und Bobby McFerrin genannt werden kann, lässt sich einfach nicht in irgendwelche Schubladen stecken. Er ist ein Grenzgänger, ein Magier des Gesangs, ein Ein-Mann-Orchester ohne Instrument, kurzum ein Sänger, der das gesamte Potenzial seines einzigartigen Organs auszuloten versteht und in seiner Band A Novel of Anomaly Musiker versammelt hat, die seine eklektischen Ausflüge gleichermaßen stützen und umschreiben können. Im Pantheon stellt das Quartett die neue Platte „Anthem for No Man’s Land“ vor und setzt damit Maßstäbe. Herrlich, wie das poetische Akkordeonspiel Luciano Biondinis mit den urbanen Gitarrensounds von Kalle Kalima kontrastiert und zugleich harmoniert, gestützt von Drummer Lucas Niggli und dem intuitiven Verständnis für die stilistischen Vorstellungen der anderen. Darüber dann Schaerer, der zwischen grummelnden Basslagen und Falsett-Passagen tanzt, auch als Beatboxer brilliert und immer innovative Ansätze verfolgt, die ihresgleichen suchen. Atemberaubend.

 

Zuvor hatte schon Ausnahme-Pianist Jasper van’t Hof einen ähnlichen Eindruck hinterlassen. Der Niederländer, seit mehr als 50 Jahren nach kreativen Ausdrucksmöglichkeiten zwischen Weltmusik und Jazzrock sucht, ist ein gern gesehener Gast beim Jazzfest und immer ein Garant für virtuose Soli. Diesmal hatte er sich von seinem Trio begleiten lassen (Stefan Lievestro, Bass sowie Jens Meijer, Drums) – und von dem unglaublich agilen Saxofonisten Christof Lauer, der mit seinem modernen, kantigen und schrägen Ansatz einen spannenden Gegenpol zu van’t Hof bildete. Mitunter quietschte und eierte, japste und stöhnte dieser, und doch wirkten diese Passagen erstaunlicherweise nicht bemüht, sondern organisch und gewissermaßen die logische Fortsetzung seiner wahnwitzigen Läufe. Ganz große Kunst, zumal all dies geschickt von van’t Hof gespiegelt wurde, der mit impulsivem Spiel antwortete und das Publikum euphorisierte.

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Wie gut Vielfalt und Klarheit zusammenpassen, zeigt auch Sarah Chaksad mit ihrem 13-köpfigen Large Ensemble. Die Saxofonistin, Komponistin und Kulturmanagerin verwebt genüsslich diverse Klangfarben zu einem kunterbunten Jazz-Teppich und bindet all ihre Bandmitglieder ein, ohne dabei das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. Die Melodie steht über allem, selbst wenn das Spiel mal dissonant wird – derartige Abstecher in avantgardistische Welten löst das Ensemble in der Regel mühelos wieder auf und macht die Linienführung gerade durch diesen Kontrast noch einmal deutlicher. Beeindruckend, wie alles ineinanderfließt, wie der Gesang von Yumi Ito nahtlos in eine Posaunenpassage übergeht oder wie Pianistin Julia Hülsmann (übrigens eine gebürtige Bonnerin) diese und andere Elemente aufgreift und gegebenenfalls mit ihrem virtuosen Spiel weiterspinnt. Und mittendrin Sarah Chaksad, die in der Menge fast verschwindet, sofern sie nicht wie bei dem von einem iranischen Volkslied inspirierten „Tears“ ein ungemein feinfühliges Solo spielt. Kein Wunder, dass es dafür stehende Ovationen gibt.

Und dann kommt Hiromi. Die japanische Pianistin, die eint von Chick Corea entdeckt und gefördert wurde, ist ein Energiebündel sondergleichen. Die Musik, die sie mit ihrem Quartett „Sonicwonder“ präsentiert und die ausschließlich vom aktuellen Album „Out There“ stammt, folgt in erster Linie dem Groove und erweist sich als ungeheuer explosiver Hochleistungsfusionjazz, den die 46-Jährige derart locker-flockig aus den Tasten haut, dass es eine Freude ist. Doch auch ihre Band-Kollegen begeistern: Trompeter Adam O’Farrill pfeffert ein beeindruckendes Solo nach dem anderen in den Saal, Bassist Hadrien Feraud überzeugt vor allem in den leiseren Passagen, und Drummer Gene Coye erweist sich als ebenso gefühl- wie druckvolle Präzisionsmaschine. Das von Hiromi geliebte Spiel mit den Effektgeräten ist dabei zweitrangig, und wenn diese zum Einsatz kommen, dann so geschickt, dass es kaum auffällt. Perfekt. So geht das Jazzfest denn auch in diesem Jahr mit einem Höhepunkt zu Ende. Wobei – zwei Konzerte folgen ja noch, gewissermaßen als Jazzfest Extended. Am 29. Juni kommen Gitarristin Becca Stevens sowie Tastenzauberer Michael Wollny in die Oper, und am 27. September ist mit Rymden das Naschfolge-Trio von e.s.t. zu Gast. 

Termine

29.6., 19 Uhr, Oper: Becca Stevens + Michael Wollny Trio
27.9., 20.30 Uhr, Bundeskunsthalle: Rymden

Karten erhalten Sie an allen bekannten Vorverkaufsstellen. Weitere Informationen unter www.jazzfest-bonn.de.

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