
Der Alltag ist öde? Dem kann Thees Uhlmann nicht zustimmen. Der Ex-Frontmann der Band Tomte, die ähnlich wie Tocotronic und Kettcar einst zur Speerspitze der Hamburger Schule gezählt werden, liebt den Alltag sogar. Denn gerade im scheinbar immer Gleichen findet er besondere Momente und eigentümliche Bilder, ein Aufleuchten im Grau der Kontinuität, ein Lichtblitz inmitten von Monotonie und Melancholie. Beim Auftakt der neuesten Ausgabe des WDR Rockpalast-Festivals in der Harmonie hat er mit einem abendfüllenden Konzert genau diese in Musik gegossenen Szenen präsentiert. Und er hat schon viele gefunden: In seiner Heimat in Nord-Niedersachsen, westlich der Oste und südlich der Elbe, gibt es zum Beispiel einen Punkt, von dem aus man drei Atomkraftwerke gleichzeitig sehen kann. Ein erschreckendes Bild, denkt man – aber für Uhlmann ist es auch faszinierend. Gerade weil man sich daran schnell gewöhnt hat. Denkt da noch irgendjemand drüber nach? Wohl kaum.
Es braucht offenbar nicht viel, um Uhlmann zu inspirieren. Manchmal reichen einfache Sätze. Oder skurrile. „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hiphop Videodrehs nach Hause fährt“ dient ebenso als Grundlage eines Songs wie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“; das ist Alltags-Poesie vom Feinsten, textlich weitergeführt und unterlegt mit ein paar hingeschrammelten Akkorden. Dazu dann Uhlmanns leicht nölende Stimme – wirklich schön ist das nicht. Aber immerhin ehrlich, ungeschminkt und auch ein bisschen berührend, zumindest für die treuen Fans des 51-Jährigen, die lauthals zumindest einige besonders einprägsame Zeilen mitsingen und oft genug auch das gesamte Lied. Was angesichts der eigenwilligen Texte gar nicht so einfach ist. Bei ihnen geht Uhlmann keine Kompromisse ein, wenn sich in den Liedern etwas anpasst, dann die Melodie oder der Rhythmus. Typisch Singer-Songwriter eben. Oder, wie Uhlmann sich selbst augenzwinkernd ankündigt, typisch für den Bruce Springsteen aus Nord-Niedersachsen.
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Weil Thees Uhlmann so viel erzählen will, hat das Rockpalast-Team ihm kurzerhand einen Solo-Slot zugestanden. Statt 70 Minuten hat der 51-Jährige nun rund 120, die er auch mühelos zu füllen weiß, mit seinen Liedern und mit seinen Moderationen. Und die werden manchmal ernst. Sehr ernst. „Dein Herz ist wie eine Berliner Synagoge, es wird Tag und Nacht bewacht“ – zu dieser Textzeile aus „17 Worte“ muss Uhlmann einfach was sagen. „Auf der einen Seite finde ich es gut, dass Polizisten da zum Schutz stehen – aber dass Juden in Deutschland inzwischen wieder Tag und Nacht Angst haben müssen, religiöse Symbole zu zeigen, finde ich ehrlich gesagt unerträglich.“
Die restlichen Tage des Rockpalast-Festivals finden derweil wieder im gewohnten Doppelkonzert-Format statt. Der Freitagabend mit dem österreichischen Duo Cari Cari und seiner eigenwilligen Melange aus Americana-Ästhetik, Morricone-Klangspielereien und bluesig stampfendem Indie-Rock auf der einen und Sängerin Stina Holmquist auf der anderen Seite ist wohl bereits ausgebucht. Für Samstag scheint es aber noch ein paar Karten zu geben. Dann steht mit der Liga der Gewöhnlichen Gentlemen eine weitere Hamburger Institution auf der Bühne, die durchaus eine gewisse Nähe zu Tocotronic und auch zu Tomte aufweist, gleichzeitig aber mit ihrem Gute-Laune-Pop im 60er-Jahre-Stil weitaus entspannter daherkommt. Ähnlich agieren Endless Wellness aus Wien, wenn auch mit deutlich mehr Rock und der ein oder anderen depressiven Phase. Die Band singt alternative Liebeslieder, feiert den melancholischen Optimismus und versucht, die vernarbte Seele zu streicheln. Ob das gelingt? Sollte jeder selbst entscheiden.
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