
Ach ja, die Deutschen. Ein eigentümliches Völkchen. So blasiert wie Berlin, so trostlos wie Pirmasens und so von sich überzeugt, dass sie von sich selbst als Steigerung sprechen. „Ich bin nicht deutsch, ich bin deutscher.“ So viel Zeit muss sein. Jetzt nehmen sich René Sydow und Christian Miedreich bei ihrem ersten gemeinsamen Kabarettprogramm diesen unseren Landsleuten an, um in einer Art satirischem Heimatabend den Geist und die Seele der so genannten Germanen zu ergründen – ein Wort übrigens, das sich in mehr als einer Hinsicht mit „Spießbürger“ übersetzen lässt. Passt ja. Also wird gestichelt, was das Zeug hält. Gnadenlos rechnet das Duo bei der Premiere im Pantheon mit Vorurteilen und Wahrheiten gleichermaßen ab, wagen sich in den Bürokratendschungel und ins Mittelschichts-Biotop, setzt sich mit echten und gefühlten Befindlichkeiten auseinander und begeistert mit einer unglaublichen Spielfreude. Besser kann Nummernkabarett nicht sein. Böser auch nicht.
Dabei sind viele der Pointen nicht gerade neu: Der schwäbelnde Bio-Papa mit dem Sohnemann, der möglichst bald in den Waldkindergarten gehen soll, aber nicht allein im heimischen Forst Cowboy und Indianer spielen darf – kulturelle Aneignung beginnt immerhin neuerdings schon nach dem Verlassen der Krabbelgruppe, da muss die kindliche Fantasie einfach frühzeitig eingenordet werden –, ist ein ebenso beliebtes Klischee wie das des Geissen-Verschnitts aus Neukölln am Strand irgendeines fernöstlichen Landes. Doch sowohl die Wandlungsfähigkeit von Sydow und Miedreich als auch ihr Händchen für Zuspitzungen hebt derartige Sketche, die ansonsten schnell altbacken wirken, weit über das sonst gewohnte Maß heraus.
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Ohnehin hat sich die Zusammenarbeit der beiden schon jetzt ausgezahlt: Miedreich, der sonst in erster Linie als Schauspieler aktiv ist, überzeugt immer wieder mit präzise gesetzten Pointen und kabarettistischem Feingespür, während Sydow als alter Hase auf der Kleinkunstbühne noch nie in so viele verschiedene Rollen geschlüpft sein dürfte – und sie allesamt meisterhaft ausfüllt. Herausragend ist er etwa als Frührentner aus dem Ruhrpott, der eine Tirade gegen Selbstzahlungskassen in Supermärkten loslässt, nicht weil ihn das persönlich betrifft, sondern die entlassene Kassiererin. Ein Proll mit Herz. Nicht minder stark ist Miedreich als russischer Taxifahrer mit einem ganz eigenen Blick auf die Welt.
Mal solistisch und dann wieder zu zweit skizzieren Miedreich und Sydow Szenen aus der eisigen Mitte der Gesellschaft, in der Waffenlobbyisten den Politikern die Richtung vorgeben, der Hass auf den Nachbarn nur von dem auf den Ausländer gegenüber übertroffen wird und auf der anderen Seite überall Trigger-Warnungen angebracht werden müssen, damit sich ja auch niemand in seiner oder ihrer Befindlichkeit verletzt fühlt. Ein trauriges Land. Dazwischen dann die dazugehörigen Fakten und die noch traurigeren Wahrheiten. Pro Jahr, so rechnet Sydow vor, werfen wir Lebensmittel weg, mit denen man zwei Milliarden Menschen ernähren könnte, und das bei “nur“ einer Milliarde Hungernder. Aber ungerecht? Finden das die meisten nicht. So lange es nicht die eigene Haut betrifft, ist man halt distanziert. Und sonst wählt man halt schnell mal die AfD, so als hätte man in 100 Jahren nichts gelernt. „Wir schreiben die Geschichte nicht weiter, wir überschreiben sie“, fasst es Sydow zusammen. „Wir sind geschichtsvergessen und halten das für Fortschritt.“ Da kann man nur hoffen, dass daraus nicht ein Stechschritt wird.
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