
Wenn die Äolsharfen erklingen, wird Beethoven aggressiv. Immer die selbe Leier, harmonisch bis zum Erbrechen, ohne Kontraste, ohne Spannung, ohne Leben! Da wird doch der Komponist im Himmel verrückt. Gut, zugegeben, vielleicht hat Beethoven sich selbst mal von diesem antiken Instrument inspirieren lassen (angeblich bei der „Mondscheinsonate“), aber doch nur um zu zeigen, wie es besser gehen kann. Und seit der Ankunft im Paradies ist es ihm ohnehin endgültig verleidet worden. Dabei würde er ja gerne Neues wagen, doch das ist mit dem himmlischen Chor nicht zu machen, ebenso wenig mit dem Orchester, und erst recht nicht mit Petrus. Was über 2000 Jahre lang gut genug für die Engel war, kann selbst Beethoven nicht verbessern. Und so muss der Meister wohl oder übel seinen Blick zur Erde richten und hoffen, dass zumindest dort irgendjemand sein Werk fortführt. So wie im Haus der Springmaus, wo Andreas Etienne, Christoph Scheeben, Lisa Maria Schumann und Wolfgang Klein-Richter die Erben Beethovens wieder auferstehen lassen. Was allerdings trotz traumhafter Musik, schönen Anekdoten und bewegenden Momenten nicht vollständig gelingt.
Fünf Jahre ist es jetzt her, dass Etienne und Scheeben anlässlich des Beethoven-Jubiläums das Programm „Ludwig – Jetzt mal unter uns“ entwickelten. Für die Fortsetzung „Ludwig – Ich hör wohl nicht recht?!“, die jetzt in Endenich ihre Premiere feierte, kehrt ersterer nun extra auf die Bühne zurück, von der er sich noch zwei Jahre zuvor offiziell verabschiedet hatte. Immerhin wirkt das Genie eines der größten Komponisten der Weltgeschichte bis heute nach – ein guter Grund also, ihn aus dem Jenseits heraus auf jene blicken zu lassen, die ihm nacheiferten: Brahms, Schumann, Chopin, Mendelssohn. Ein überaus reizvolles Konzept, zumal die hochschwangere Violinistin Lisa Maria Schumann und Pianist Wolfgang Klein-Richter mit zahlreichen Stücken aus den Federn der genannten Komponisten dem Abend einen fast schon kammermusikalischen Anstrich gab, zu dem sich auch das ein oder andere Lied von Scheeben mit seinem wohlklingenden Bariton gesellte.
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Doch während Etienne Beethoven wieder brillant verkörpert und ihm mehr als einmal kraftvolle, bewegende und poetische Worte in den Mund legt, kann man dies von den anderen nicht behaupten. Ihre Stimmen fehlen. Was sie von Beethoven dachten, warum sie ihn verehrten und wie sie doch mit ihren Mitteln die Musik weiterentwickelten, das alles bleibt weitgehend ungesagt. Eine absurde Opern-Skizze in drei Akten – ein gängiges Format im Musik-Kabarett – beleuchtet zwar die Beziehung von Clara und Robert Schumann sowie den fingierten Wettstreit der Komponisten um Beethovens Erbe, kann aber letztlich nur an der Oberfläche kratzen. Das ist bedauerlich, zumal es Etienne und Scheeben ansonsten recht gut gelingt, Information und Spaß zu verbinden. Mitunter verwandeln sie sich dafür in die beiden rheinischen Konzertbesucherinnen Annemie und Elfriede, an einer Stelle aber auch in Beethoven und Petrus. Der Disput zwischen beiden ist – zusammen mit den Ausführungen zur 9. Sinfonie – das Herzstück des Programms und zugleich eine Liebeserklärung an die Musik. „Im Klang liegt das Unbegreifliche“, betont Etienne als Beethoven und meint damit das Göttliche.
Beethovens Geniestreich war es, dies zu erkennen und trotzdem die starren Strukturen des Barock zu durchbrechen, um den Menschen ins Zentrum des Schaffens zu stellen. Für diesen hat er komponiert, nicht für Gott und Kaiser, allen Auftragsarbeiten zum Trotz. Seinetwegen hat Beethoven die Neunte geschrieben als eine Sinfonie der Freude. Umso erschreckender wäre es wahrscheinlich für den Komponisten gewesen, wenn er tatsächlich mitbekommen hätte, wie seine Musik missbraucht wurde, von Josef Stalin ebenso wie von Adolf Hitler.
Schon allein für diese Szenen lohnt sich der Besuch von „Ludwig – ich hör wohl nicht recht?!“, auch wenn gerade durch deren Brillanz die Fallhöhe zum Ende hin besonders groß wirkt. Ein bisschen mehr Kontur hätte an dieser Stelle sicherlich geholfen. Das Publikum war bei der Premiere dennoch hellauf begeistert von der Mischung aus Kabarett, Infotainment und Musik und von einem in jeder Hinsicht spielfreudigen Quartett.
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