
Die ganze Welt ist verrückt geworden. So verrückt, dass selbst Stoiker an ihr verzweifeln. Diese haben sich ja eigentlich darauf trainiert, jedes Übel auszuhalten, haben sich resilient gemacht für alle nur denkbaren Katastrophen. Doch was heutzutage los ist, bringt selbst den stärksten Geist an seine Grenzen. Kein Wunder also, dass Erwin Pelzig verzweifelt. Immerhin ist der Franke mit dem emblematischen Cordhut, hinter dem sich der Kabarettist Frank-Markus Barwasser verbirgt, lediglich ein unbedarfter Student jener Geisteshaltung, deren Meister ausgerechnet an die Vernunft als Wegweise zur Glückseligkeit glauben. Die Vernunft! Die hat sich doch schon längst verabschiedet zu Gunsten von Gelüsten und Begierden und von Wahn. Siehe Trump. Allerdings bleibt Pelzig nichts anderes übrig, als den Stoizismus zu verinnerlichen – um so wenigstens sich selbst ein bisschen Frieden zu gönnen. Nun hat er die neueste Sitzung mit seiner Lebensberaterin Livia kurzerhand ins Pantheon verlegt. Und zieht zwischendurch ordentlich vom Leder.
Eigentlich will Pelzig ja Optimismus ausstrahlen. Nur kein Kabarettistengewäsch über den ach so schlimmen Zustand der Gesellschaft und auch keine Abrechnung mit irgendwelchen Politikern, die sich für wichtiger halten, als sie sind. Wenn da nur nicht gewisse Leute wären, die genau das wollen und so lange über die Stränge schlagen, bis der Skandal zur neuen Normalität geworden ist. Siehe Trump. Auf den US-Präsidenten kommt Pelzig immer wieder zu sprechen, gezwungenermaßen, denn niemand sonst verkörpert das Übel in der Welt besser als dieser. Nur was tun gegen ihn? Wenn man ihn doch nur ausnutzen könnte, etwa indem man ihm Thüringen und Sachsen schmackhaft macht – irgendwelche seltenen Erden wird man da doch finden, und all die AfD-Wähler in den neuen blauen Landen dürften sich ohnehin eher nach Trump sehen als nach Merz. Damit wäre die Gefahr von rechts erst einmal gebannt und der Druck auf die Regierung raus, die nach Ansicht von Pelzig einfach nicht scheitern darf, so sehr man es sich auch wünschen mag. Denn sonst stehen der Bundesrepublik zumindest laut den aktuellen Wahlumfragen düstere Zeiten bevor. Und auch wenn man sich als Stoiker gedanklich auf alles vorbereiten sollte, um am Ende gelassen sein zu können – manches will Pelzig sich einfach nicht vorstellen. Wozu eine Kanzlerin Weidel gehört. Und eine Bundestagspräsidentin Beatrix von Storch. Da läuft es Pelzig eiskalt den Rücken hinunter.
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Leider fällt es Erwin Pelzig zunehmend schwer, die Bundesregierung in Schutz zu nehmen. Wie auch, wenn man die Hälfte der Minister gar nicht kennt und die andere Hälfte gar nicht kennen möchte? Vielleicht ist an dem Ausspruch von Jens Spahn doch etwas Gutes dran: „Wer uns nichts nützt, muss das Land verlassen“, hat er unlängst bei Maybrit Illner verkündet. Das sagt der Richtige. Andererseits könnte die konsequente Umsetzung dieses Edikts viele Probleme in Deutschland lösen, zumindest wenn man den Humanismus zugrunde legen würde und die Moral, die einst ein evolutionärer Vorteil war und inzwischen den Reichen nur noch als Fußabtreter taugt. Wer genug Geld hat, braucht sich um gesellschaftliche Konventionen eben nicht länger zu kümmern. Derweil läuft der Mob durch die Straßen und skandiert rassistische Parolen, die von der Amygdala gesteuert werden und nicht vom präfrontalen Kortex – oder anders gesagt vom Emotionszentrum statt vom logischen Denken. Letzteres verbraucht nämlich viel mehr Energie als ersteres, und wer will sich heutzutage schon anstrengen? Dafür hat man doch Maschinen…
Mit „Wer wir werden“ lässt Frank-Markus Barwasser seine Bühnen-Persona Erwin Pelzig zu einem grandiosen Rundumschlag ansetzen, der es in sich hat. Natürlich sind auch die üblichen Figuren wieder mit dabei, so wie Pelzigs Stammtisch-Freunde, der erzkonservative Dr. Göbel und der eher schlichte Hartmut, die unweigerlich wieder zu streiten beginnen. Im Vergleich zu früheren Programmen kommen die beiden fingierten Freunde allerdings erstaunlich selten zu Wort. Stattdessen meldet sich häufiger die – stimmlich leider überaus steife – Livia, um gewisse Aspekte des Stoizismus zu erläutern; zudem nimmt Barwasser auch die Perspektive der so genannten Generation Schneeflocke ein, die angeblich extrem sensibel, überaus anspruchsvoll und nicht übermäßig resilient sein soll. Ein Eindruck, den Barwasser geschickt korrigiert. Nur dem Herrn Pelzig kann er nicht helfen, so sehr er es auch versucht. „Ich will nicht so werden, wie ich bin“, lässt er diesen letztendlich klagen. Doch Veränderungen sind eben schwer, insbesondere inmitten eines Umbruchs, in dem sich alle vermeintlichen Sicherheiten auflösen. Da hilft nur Resilienz. Und die Hoffnung, dass das Schlimmste doch nicht eintritt. Mehr Stoizismus ist momentan leider nicht möglich.
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