
Vor Thorsten Havener kann man nicht viel verheimlichen. Der Mentalkünstler und Experte für Körpersprache vermag die meisten Menschen zu lesen wie ein offenes Buch, weiß um Traumziele und um jene, denen die Menschen im Publikum zu Dank verpflichtet sind. Alles kein Problem. Und wenn er damit nicht weiterkommt, nutzt der 52-Jährige eben die Macht der Suggestion. Damit kommt er bei seinem Besuch im Pantheon erstaunlich weit – und beißt erst bei einer Musikerin auf Granit.
Im Grunde unterscheidet sich Haveners aktuelles Programm „Alles Kopfsache?“ nur unwesentlich von denen anderer Mentalisten, auch wenn er so tut, als würde das Publikum den Abend mit Hilfe einer Art Lotterie bestimmen. In welcher Reihenfolge die einzelnen Nummern stattfinden, spielt aber letztlich keine große Rolle. Natürlich kann Havener mühelos herausfinden, wer von vier auf die Bühne geholten Hobby-Künstlern unter falschem Namen welches Porträt von ihm gezeichnet hat, und ebenso leicht kann er einer anderen Freiwilligen einreden, dass sie statt einer Suppenkelle einen Espresso-Löffel ertastet und statt einem Stein einen Schwamm. Doch gerade diese geschickte, unmerkliche Manipulation ist das Verblüffendste an Haveners Auftritt. Wenn jemand wie er schon öffentlich Geheimnummern treffsicher erraten und bei einem Kartenspiel grundsätzlich jederzeit gewinnen kann, was ist dann erst in den Schatten möglich?
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Immerhin verrät Havener zumindest einen Teil der dahintersteckenden Mechanismen. „Wir machen, was wir sehen und nicht was wir hören“, ist einer seiner Ratschläge. Ein paar Gesten können also weitaus effektiver sein als langatmige Ausführungen, denen ohnehin niemand zuhört. Wenn Erstere allerdings langweilig oder nichtssagend werden, geht der Blick aufs Handy, den Fokus-Killer Nummer 1. „Smartphones sind einer der wichtigsten Gründe, warum wir uns nichts mehr merken können“, erklärt Havener. So wie zum Beispiel Telefonnummern: Die eigene kennt man vielleicht noch, aber die der Eltern oder guter Freunde? Selten. Es sei denn, man heißt Thorsten Havener und hat sich rund 700 dieser Ziffernfolgen mit Hilfe eines Gedankenpalasts eingeprägt. Bei dieser Methode verknüpft man Zahlen mit Buchstaben oder Bildern – für Havener entspricht eine 2 einem N, eine 22 einer Nonne – und diese wiederum mit den Namen, zum Beispiel in Form einer kleinen Geschichte. Die lässt sich (mit ein bisschen Übung) einfacher abrufen als eine beliebig vergebene Nummer. Und sorgt auf der Bühne für Eindruck.
Auch Formen und Sprache lassen sich leicht mitunter verknüpfen. Havener zeichnet schnell zwei Figuren, eine rundliche und eine spitze. Welche würde das Publikum eher Bubu nennen und welche eher Kiki? Die Ergebnisse sind klar und sogar aus sprachlicher Sicht völlig nachvollziehbar, zugleich aber überraschend, zumal dies nur die Spitze des Eisbergs sein dürfte. So lässt sich das Unterbewusstsein recht zuverlässig lenken, zumindest wenn der Gegenüber ein Experte wie Thorsten Havener ist. Andererseits ist selbst er nicht unfehlbar: Bei einer Nummer, bei der er drei Songs anhand der Pantomime ebenso vieler Musiker erkennen will, scheitert er mehrfach an einer Querflötistin. „Vielleicht habe ich mich auch einfach verspielt“, mutmaßt sie lachend – und zeigt Havener die Grenzen der Mentalmagie auf.
Am Ende lässt Thorsten Havener ein ebenso begeistertes wie verblüfftes Publikum zurück. Wie leicht man doch beeinflussbar ist und wie gläsern, wenn man mit jemandem zu tun hat, der die entsprechenden unbewussten Signale kennt, ist bemerkenswert, aber auch ein bisschen erschreckend. Andererseits hat Havener gewisse Grenzen nie überschritten und zumindest für einen kleinen Moment den Vorhang zur Seite gezogen, um einen Blick auf die Wirkmechanismen der Manipulation zu gewähren. Was sich durchaus lohnt. Wenn man sich drauf einlässt.
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