In Zukunft werden in unregelmäßigen Abständen auch Rezensionen erscheinen, die ein exklusives Angebot für Abonnentinnen und Abonnenten darstellen. Diesmal: Viel erstklassiger Jazz.
Paul Cornish: You’re Exaggerating
Die Vorschusslorbeeren für Paul Cornish haben es in sich: Sein Debütalbum beim legendären Label Blue Note gilt als sichtbares Symbol dessen regenerativer Kraft, er selbst als Fackelträger für zukünftige Generationen. Eine hohe Messlatte. Und eine, die der 28-Jährige tatsächlich überwinden kann. Auf „You’re Exaggerating“ präsentiert er sich als brillanter Virtuose, der mühelos in die Fußstapfen von Herbie Hancock treten kann und gleichzeitig – bereits jetzt – seinen eigenen Weg verfolgt. Und der führt ihn konsequent an allen Grenzen entlang statt darüber hinweg. Kein Wunder, dass er ausgerechnet Geri Allen als großes Vorbild nennt, weil sie sich in jeder Besetzung wohlfühlte und in jedem Stil, ob nun traditionell oder avantgardistisch. „Sie musste sich nicht anpassen und versuchen, sich einzufügen“, hat Cornish gegenüber der Online-Plattform Everything Jazz gesagt. „Sie war einfach, wer sie war. Niemand konnte Geri in eine Schublade stecken. Das hat mich inspiriert.“ Der Pianistin hat Cornish auch das Stück „Queen Geri“ gewidmet, eine vertrackt groovende Komposition voller Spielfreude, in der die Intensität zwischen Cornish, Bassist Joshua Crumbly und Drummer Jonathan Pinson durch die Decke geht. Stark aber auch „Quienxiety“, in dem Cornish seine innere Aufregung Bahn brechen lässt, während der ruhige „Slow Song“ deutlich dessen klassische Prägung verdeutlicht. Von diesem Mann – und hoffentlich auch von diesem Trio – wird man sicherlich in Zukunft noch einiges hören.
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Sophia Oster Quartet: Praise
Facettenreich, wagemutig und unglaublich faszinierend kommt Sophia Osters neuestes Quartett-Album „Praise“ daher und zeigt die 32-Jährige nicht nur als virtuose Pianistin, sondern auch als begnadete Sängerin mit voller, samtiger Alt-Stimme. Sechs Stücke hat sie im Spannungsfeld zwischen lyrischem Neo-Bop und treibendem Latin-Jazz verortet, mit Einflüssen von Wayne Shorter und Herbie Hancock auf der einen und von Antonio Carlos Jobim auf der anderen Seite – und doch lassen sich die meisten Stücke nicht auf nur eine Spielart beschränken. Zum Glück, erweisen sich die Transformation, die manche Nummern von der ersten bis zur letzten Minute durchlaufen, als eindrucksvollstes Element der Platte. Schon der Opener nutzt genau das aus, indem das fast schon Gospelhafte, in die Höhe strebende „Praise“ auf das entspannt pulsierende „Strong Woman“ trifft und Oster mit ihren Kollegen Konstantin Herleinsberger (Saxofon), Paul Imm (Bass) und Rafael Müller (Drums) den Übergang so organisch anlegt, als könnten die beiden Stücke gar nicht ohne einander sein. Gleiches gilt für Joni Mitchells „Woodstock“, das in der tieferen Alt-Lage und mit dem Latin-Groove mindestens auf Augenhöhe mit dem Original ist, und Wayne Shorters träumerischem „Go“. „No Mind“ ist dagegen eine fast schon melancholische Nummer, während das treibende „My Kind of Blues“ an den Jazz der 50er und 60er Jahre erinnert. Bei „Carinhoso“ wechselt Sophia Oster dann sogar ins Portugiesische, samt dazugehöriger Saudade. Ganz große Klasse.
Mulo Francel & Rami Attallah Group: Global Players
Als Mitglied von Quadro Nuevo hat sich Mulo Francel schon lange den Ruf als überaus vielseitiger Saxofonist erarbeitet, der stilistisch so gut wie alles spielen kann, vom Gipsy Swing bis zu indisch geprägter Weltmusik. Mit der Formation um den ägyptischen Pianisten Rami Attallah hat er nun das Album „Global Players“ aufgenommen und einmal mehr daran erinnert, dass seine Wurzeln zu einem nicht unerheblichen Teil im Jazz liegen und er vor allem Balladen geradezu meisterhaft mit zartem Schmelz verzieren kann. Ob Miles Davis’ „Nardis“ – mit dezent-elegantem lateinamerikanischem Groove –, Kompositionen von Attallah oder Werke aus eigener Feder wie das melancholische „Personal Hero“: Der gerfühlvolle, geradezu intim klingende Sound Francels verleiht diesen Stücken einen fast schon magischen Anstrich. Einfach fallen lassen und genießen. Natürlich ist dies nicht nur Francels Verdienst, sondern auch der seiner Band-Kollegen. Sein langjähriger Jugendfreund Didi Lowka, mit dem er Quadro Nuevo einst aus der Taufe gehoben hatte, steuert einen ebenso prägnanten wie nonchalanten Bass bei, Rami Attallah einige an Bill Evans erinnernde Soli und die beiden Drummer Robert Kainar und Stephan Emig samt Perkussionist Amir Ezzat ein herrlich prägnantes Fundament. Neben den bereits genannten Titeln sei noch auf „Olive di Guardistallo“ hingewiesen, eine herrlich pulsierende Nummer, die in Dauerschleife über kurz oder lang selbst die dunkelste Stimmung zu heben vermag. Einfach nur schön.
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