Deichkind: Gesellschaftskritik mit Remmidemmi

Am Ende wird es schrill: Ein Kot-Emoji und eine Schaukel auf der Bühne, ein nur mit einer Unterhose bekleideter Mann in einem Schlauchboot, letzteres schwimmend auf einem Meer aus rund 12.000 Händen. Es ist die perfekte Inszenierung einer Party, in der Albernheit und Dekadenz eine abstruse Allianz einzugehen scheinen. Doch genau das ist das Konzert von Deichkind auf dem Bonner KunstRasen nicht. Zumindest nicht nur. Denn auch wenn das Elektro-Hip-Hop-Kollektiv mit ihrem wilden Mummenschanz durchaus eine moderne Form der Bacchanalien beschwört, will es gleichzeitig mit vor Ironie triefenden Texten Gesellschaftskritik üben. Was durchaus zusammenpasst. Wenn man keine zu hohen Ansprüche stellt.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



Keine Frage, Deichkind haben was zu sagen, und die Band nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. „Ein Traum aus Schutt und Asche / Ne richtig runde Sache“, so singen sie in „Die Welt ist fertig“ und erinnern dabei inhaltlich ein wenig an Culcha Candelas „Schöne Neue Welt“. Andere Nummern beschäftigen sich mit Fake News und Filterblasen („Wer sagt denn das?“), mit vorgegaukelter Naturverbundenheit („In der Natur“ mit eingebautem Jodler) oder mit der Dekadenz der Superreichen („Auch im Bentley wird geweint“) – gefüllt mit allerlei Sprüchen und Pointen, die im besten Fall treffen, mitunter aber auch recht oberflächlich bleiben. Der Spagat zwischen Kabarett und Kalauer, zwischen Conscious Rap und partytauglichen Electro-Beats gelingt nicht immer, hebt sich aber zumindest wohltuend vor so manch inhaltsleerer Musik fürs Partyvolk ab.

 

Dazu kommt die großartige Bühne, bei der sich Deichkind offenbar vom modernen Theater hat inspirieren lassen. Große und kleine Polyeder mit im Laufe des Abends mehrfach wechselnden Oberflächen tanzen darüber hinweg, teils mit Bandmitgliedern beladen, die ihrerseits eine eindrucksvolle Choreographie abliefern und immer wieder in neuen Kostümen auftauchen (darunter auch die beliebten, emblematischen Tetraeder-Masken). Visuell ist die Show von Deichkind zweifelsfrei schon jetzt ein Highlight der KunstRasen-Saison, stimmungsmäßig ebenfalls. Zumal sich die Formation immer wieder etwas Neues einfallen lässt, mal auf einer übergroßen Gucci-Tasche ein Rodeo reitet und dann wieder zu stampfenden Beats mit Bürostühlen über die Bühne flitzt. Was besser aussieht als man denken mag. Ob allerdings der sich ständig schließende Vorhang und der extrem kurze Einsatz von Trampolinen viel zum Programm beitragen, darf bezweifelt werden.

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Das Publikum ist auf jeden Fall hin und weg angesichts dieses ausschweifenden Spektakels und ist trotz eines einsetzenden Regenschauers in der Mitte des Konzerts für jeden Spaß zu haben, inklusive eines „Moshpits der Liebe“, geprägt von Rücksichtnahme und ohne sexistische Ausschweifungen – darauf legen Deichkind Wert. Das Partyvolk ist derweil vor allem daran interessiert, zu tanzen, vor allem als Klassiker wie „Bon Voyage“ und „Leider Geil“ aus den Boxen schallen. Und da geht noch mehr: Natürlich fahren Deichkind erneut mit einem überdimensionierten Fass durch die Menge, die derart euphorisch ist, dass die anwesenden 6000 Fans angeblich mehr Energie haben sollen als die 40.000 Besucher beim Deichbrand-Festival einen Tag zuvor. Das hört man gerne.

 

Dementsprechend ist es auch keine Überraschung, dass das Publikum Deichkind nicht aus der Gronau gehen lässt, ohne dass „Remmidemmi“ erklingt, einem der erfolgreichsten Titel der Band. Bei diesem fährt das Kollektiv noch einmal alles auf, inklusive des Schlauchboots. Einen besseren Schluss für die ausgelassene Party hätte man sich kaum vorstellen können. Mal sehen, wie es in dieser Woche weitergeht. Am 23. Juli tritt Sunrise-Avenue-Frontmann Samu Haber auf, am 25. Juli dann Maite Kelly, deren Konzert ins Brückenforum verlegt wurde. Weitere zwei Tage später kommt schließlich das Neo-Bluegrass-Quartett The Dead South auf das Gelände am Fuße des Post-Towers.

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