
Man kann es nicht anders sagen: Wenn es darum geht, ein beliebiges Publikum zum Tanzen, Jubeln und Ausflippen zu bewegen, ist Tream alias Timo Grabinger nur schwer zu schlagen. Deutschlands erster „Schlagerrapper“, wie er sich selbst bezeichnet, ist eine Stimmungskanone, die ganz genau spürt, was das Publikum gerade benötigt und wen er für die ein oder andere verrückte Aktion auf die Bühne holen kann. Auf dem KunstRasen ging dieser Plan auf jeden Fall auf. Die Stimmung war grandios, der Schlagerstrudel – das Äquivalent zur Circle Pit im Rock-Bereich – ständig aktiv und Grabinger ständig auf Achse, um auch wirklich allen Fans gerecht zu werden. Eine beachtliche Leistung. Nur leider keine schöne.
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Es steht außer Frage, dass Tream ein unglaublich souveräner und sympathischer Entertainer ist. Als guten Sänger kann man ihn dagegen nicht bezeichnen. Zumindest in Bonn trifft der 27-Jährige
längst nicht jeden Ton, schrammt regelmäßig an der richtigen Intonation vorbei und versemmelt mitunter ganze Strophen, weil er einfach nicht auf seine Band hört und schlimmstenfalls im
Bierzelt-Gegröle landet. Bei rein kölschen Liedern ist das ja noch irgendwie nachvollziehbar, schließlich ist Tream Bayer und daher nicht mit „Viva Colonia“ aufgewachsen (das Lied wünscht sich
eine junge Dame aus dem Publikum, die Tream auf die Bühne holen lässt), aber bei Evergreens wie „Country Roads“, die nun wirklich jeder irgendwo im musikalischen Gedächtnis abgespeichert hat, ist
ein derartiger Dilettantismus einfach nur peinlich. Vielleicht ist das ja der eigentliche Grund, warum Tream lieber rappt als singt.
Irritierend ist das auch deshalb, weil Tream immerhin mit Live-Musikern arbeitet und sogar ein Blechblas-Quartett in die Gronau mitgebracht hat. Die Band versteht sich denn auch bestens darauf,
allerlei Schlager aneinanderzupappen und nahtlose Übergänge zu weben, und mitunter kommt dabei sogar was Schönes dabei raus, so wie einer Nummer, die mit dem „Weinst Du“-Refrain der Band Echt
arbeitet, diese aber mit ein paar geschickten Rap-Einlagen verknüpft. Oft genug werden die Wechsel aber nur mit ein paar billigen Techno-Schnipseln überdeckt, und wenn dann noch Zeilen erklingen
wie „also streichel mir die Wampe, Marleen / Nimm ihn in den Mund, du Schlampe“, fragt man sich schon, wie tief das Niveau noch sinken kann. Für die Dorfdisco im Bierzelt reicht’s vielleicht.
Aber das sollte nun wirklich nicht der Maßstab sein.
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Das Publikum ist dennoch begeistert, tanzt und feiert und jubelt und johlt, während Musik über den KunstRasen schallt, die auch auf Malle nicht fehl am Platze wäre. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Tream die Menge immer wieder mit einbezieht. Was er präsentiert, ist weniger ein Konzert für seine Fans als eine verrückte Party mit ihnen – und das Konzept geht auf, zumal Tream wirklich gute Ideen hat. Mal ruft er einen Kostüm-Wettbewerb aus und holt am Ende die kleine Charlotte auf die Bühne, die mit ihm seinen Song „Deine Augen“ anstimmt, dann wieder verteilt er Bier in den vorderen Reihen oder verschießt T-Shirts. Sogar einen mechanischen Bullen hat er mitgebracht, auf dem er zwei Lieder singt und den wilden Ritt danach auch für die Besucherinnen und Besucher des KunstRasens öffnet. Wer sich länger auf dem ruckelnden Monster halten kann als er, bekommt Freikarten für seine kommende „Brotzeit“-Tour. Eine ungewöhnliche und sehr clevere Marketing-Maßnahme, die hervorragend ankommt. In diesen Momenten dient die Musik nur als Hintergrundbeschallung und aufpeitschender Impulsgeber, der nie aufhört und das sich selbst in die Ekstase treibende Publikum mit treibenden Rhythmen im Hamsterrad der Euphorie gefangen hält. Was offenbar völlig ausreicht. Insofern dürfte es nicht verwundern, dass Tream für seine Tour im Dezember kurzerhand die Lanxess-Arena gebucht hat, und die wird wahrscheinlich recht voll werden. Ob man dann ein gutes Konzert geboten kriegt, ist Geschmackssache. Eine wilde Party dürfte aber garantiert sein.
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