
Eine leicht hauchende Stimme schwebt über reduzierten Klavierakkorden, ganz intim, fast schon zerbrechlich: Schon lange hat Olivia Trummer davon geträumt, einmal ein Solo-Album aufzunehmen, auf dem ihre Liebe zur Klassik ebenso zur Geltung kommen sollte wie ihre Freude am Jazz. Doch irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt für ein derartiges Projekt da. Bis Trummer im Frühjahr 2024 von Produzent Russ Titelman kontaktiert wurde und sie kurzerhand nach New York flog. Manchmal kann es so einfach sein. Und so schön.
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Der Kontakt zwischen Trummer und Titelman (der unter anderem schon mit Steve Winwood, George Harrison und Eric Clapton gearbeitet hat), ist tatsächlich durch einen Algorithmus zustande gekommen. „Russ ist ein unglaublich neugieriger Mensch, wenn es um Musik geht, und so lässt er sich immer wieder von verschiedenen Webseiten Stücke vorschlagen“, erklärt Trummer. „Auf diese Weise ist er auf mein Video zu ’Piece of Love‘ aufmerksam geworden und war sofort fasziniert. Er hat mir später erzählt, dass ihn meine Art, Melodien am Klavier mitzusingen, an George Benson erinnert habe. Auf jeden Fall hat er sich weitere Stücke von mir angehört und mich schließlich über Facebook kontaktiert.“ Schnell kam es zu einem ersten Gespräch, bei dem die 39-Jährige auch ihren Wunsch nach einer Solo-Platte erwähnte. „Wir haben uns sofort gut verstanden, die Chemie stimmte einfach.“ Es folgte ein Treffen in New York, bei dem Trummer merkte, was ein guter Produzenten ausmacht. „Ich habe bislang noch nie so gearbeitet“, sagt sie, „aber es war unglaublich bereichernd. Wir haben anfangs nur zusammengesessen und Musik gehört. Russ hat mir Songs vorgeschlagen, nicht weil ich die alle unbedingt interpretieren sollte, sondern weil er sie einfach mit mir teilen wollte – und ein paar dieser Vorschläge habe ich tatsächlich aufgenommen. Später haben wir dann an den Stücken selbst gearbeitet, an der Phrasierung oder am Tempo. Alles nur Kleinigkeiten, die aber sehr geholfen haben.“
Bei der Auswahl legte Trummer großen Wert darauf, die gesamte Bandbreite ihrer Kunst auszuloten. „In der Vergangenheit war mein Repertoire häufig auf die ein oder andere Weise beschränkt, weil ich zum Beispiel nur deutsche Lieder gesungen oder mich ausschließlich mit Klassik beschäftigt habe. Das wollte ich jetzt anders machen.“ Eine gewisse Einschränkung gibt es aber dennoch: Kraftvolle, pulsierende Stücke wie die des Albums „For You“, zu denen übrigens auch das von Titelman so geschätzte „Piece of Love“ gehört, sind zu Gunsten von zarten Balladen außen vor gelassen worden. Selbst bei dem eigentlich pulsierenden „My Baby Just Cares For Me“ verzichtet Trummer auf den unverkennbaren Walking Bass und entschleunigt den Jazz-Standard, wenn auch zugegebenermaßen auf ganz wunderbare, charmante Art und Weise. Auch ihre Stimme klingt oftmals eher gehaucht denn klar, obwohl Trummer beide Techniken mühelos beherrscht. Gleiches gilt übrigens auch für den Scat-Gesang früherer Jahre, der insbesondere bei „You Are The Sunshine Of My Life“ begeistert.
Eines der wichtigsten Stücke auf „Like Water“ ist für Olivia Trummer „Somewhere“ aus der „West Side Story“. „Der Vorschlag kam von Russ“, gesteht sie. „Ich meine, das ist schon anspruchsvoll, da
braucht man einen langen Atem.“ Das hat Trummer auch im Studio bemerkt: „Wir hatten den Song ganz ans Ende der Aufnahme-Session gepackt und ich war ziemlich platt. Deshalb war ich mit den ersten
Takes nicht so zufrieden.“ Jamie Bernstein dagegen schon. Die Tochter von Leonard Bernstein ist eine gute Freundin von Russ Titelman und wollte es sich nicht nehmen lassen, bei den Aufnahmen mit
dabei zu sein. „Sie sagte mir, dass sie meine Version sehr schön fand, weil es in dem Stück schließlich um Erschöpfung gehen würde und darum, sich nach einer besseren Welt zu sehnen. Das hat mich
inspiriert. Also habe ich noch einmal eine Aufnahme gemacht. Und die war es letztlich.“
Doch nicht nur im Jazz hat sich Olivia Trummer bedient. Aus der Cantautore-Tradition nimmt sie das während der Corona-Pandemie entstandene „Tu, io e domani“ von Joe Barbieri, der sei selbst
gefragt haben soll, ob sie nicht eine eigene Fassung von diesem Lied singen wolle. „Ich habe in den vergangenen Jahren aus privaten Gründen viel Zeit in Italien verbracht, und auch wenn sich das
inzwischen geändert hat, haben mich das Land, seine Sprache und seine Kultur doch nachhaltig geprägt“, sagt sie. Und dann wäre da noch die Klassik: So dienen unter anderem die „Mondscheinsonate“
und ein Bach-Präludium als Intro, und das Spiritual „Swing Low“ hat sie auf die Harmonien der Beethoven-Sonate Nr. 30 in E-Dur aufgepfropft. „Für mich ist die Klassik immer mit Geborgenheit
verknüpft“, erzählt Trummer. „Daher habe ich versucht, eine organische Verbindung zwischen den verschiedenen Stilen zu schaffen. Was ich hingegen keinesfalls wollte, war ein Crossover-Projekt,
denn für mich gibt es keine Grenzen. Musik ist einfach Musik. Das reicht doch.“ Tut es.
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