Bonner Theaternacht: Szenen aus der Zukunft

Der Regen ist ausgeblieben, die Katastrophe auch: Die Bonner Theaternacht war für viele, wenn nicht gar für alle beteiligte Akteure ein großer Erfolg. Sahen die Vorverkaufszahlen noch 48 Stunden zuvor alles andere als gut aus, stürmten Bürgerinnen und Bürger am Termin selbst in Scharen zu dem beliebten Veranstaltungsmarathon, an dem sich etliche freie Gruppen sowie fast alle relevanten Theater der Bundesstadt präsentierten, Ausschnitte aus zukünftigen Produktionen zeigten oder einfach nur einen schönen Abend bereiteten. Vor etlichen der insgesamt 30 Spielstätten waren schon zu Beginn lange Schlangen zu sehen, viele der so genannten Startervorstellungen waren auf einmal ausverkauft – und die Ensembles sorgten dafür, dass sich das Warten ebenso sehr lohnte wie das Weiterziehen. Denn nur wer mit offenen Ohren und neugierigem Blick von Ort zu Ort wanderte, konnte den wahren Reichtum und die Vielfalt der Bonner Kulturszene so richtig schätzen. Auch kultur-kritik war unterwegs und hat längst nicht alles, aber zumindest einiges sehen können. Und manches leider nicht. 

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



19.30 Uhr, Auftakt im Institut Francais. Das multinationale Ensemble GIFT (German Italian French Theater) zeigt eine jener Startervorstellungen, für die man im Vorfeld Tickets erwerben konnte und die der Startpunkt einer kleinen Rundreise sein sollen. Die Schauspielerin und Regisseurin Eugenia Fabrizi sowie ihre Kolleginnen und Kollegen Luca Paglia und Pauline Garnier (letztere per Videoübertragung live aus Montreal zugeschaltet) wollen einen kleinen Einblick in die Überarbeitung ihres philosophischen Stückes „Momentum Nostrum“ geben, das sich mit dem Irrsinn der Welt auseinandersetzt und das eigentlich 2019 durchstarten sollte. Bis die Pandemie kam. Und heute? Ist alles nur noch verrückter geworden. Also fangen der Spielemacher McFolle und die bärtige Jungfrau Immaculata an, einmal mehr einen Blick hinter die Kulissen dieser „Freakshow“ zu werfen. Dabei erweist sich der Diskurs als überaus komplex, fast schon verkopft – doch das mag am fragmentarischen Charakter der Theaternacht liegen. Immerhin regt das dreisprachige Stück zum Nachdenken an. Und das ist mehr, als so manch andere Produktion von sich sagen kann.

 

Weiter geht’s ins Euro Theater. Ja, das Haus gibt es noch, auch wenn der Umbau zum Theater aus diversen Gründen seit etlichen Monaten auf Eis liegt; lediglich im Treppenhaus ist ein kleiner Auftritt von Fabio Nolting und Ela Bent mit melancholischem Liedermacher-Pop möglich. Für diesen Abend hat das Team um Intendantin Ulrike Fischer daher das benachbarte Zeughaus der Ehrengarde als Spielstätte zur Verfügung gestellt gekriegt. Dicht an dicht stehen dort die Stühle, sicherlich 50 an der Zahl und dennoch zu wenig; kurzerhand kommen noch eine Bierbank und ein paar Barhocker hinzu. Auslöser dieses Andrangs ist der Auftritt von Daniel Breitfelder als Hitlers Sekretärin Traudl Junge. Dieser hat zusammen mit Sebastian Kreyer vor und Johannes Brüssau hinter den Kulissen die Biographie besagter Dame am Kölner Theater im Keller auf die Bühne gebracht, und zwar – wie der kurze Auszug bei der Theaternacht zeigt – vergleichsweise sachlich. Zumindest in Bonn konterkarieren er und Kreyer dies aber mit geschicktem Meta-Theater über die stets mitschwingende Verführung durch die Satire.

Seit der allerersten Theaternacht ist die Brotfabrik der eigentliche Hotspot der Theaternacht. Hier verkehrt die freie Laien-Szene Bonns mit all ihren studentischen und sonstigen Hobby-Ensembles, von der Bonn University Shakespeare Company (BUSC) bis hin zum Seniorentheater UHU. Erstere zeigen eine düstere, geschickt ausgeleuchtete Szene aus der kommenden Produktion „Macbeth“, die am 11. Juli am selben Ort Premiere feiern wird. Zumindest die Bildsprache erscheint schon einmal sehr stark zu sein – gleiches gilt übrigens auch für „Konotoper Hexe“, eine Liebesgeschichte, die die ukrainische Gruppe Mriya inszeniert. Diese hatte im vergangenen Jahr mit dem bedrückenden Kriegsdrama „Der geschlossene Himmel“ eine überaus mutige Produktion auf die Bühne gebracht und wagt sich jetzt an ein weitaus lebhafteres Stück mit deutlich mehr Akteurinnen und Akteuren. Mal necken – und dominieren – die Damen einen einsamen Mann, dann wieder stürzen sich die Herren in wilde Fechtsequenzen. Das macht Eindruck. Derweil gibt es im Produktionsstudio nichts zu sehen, nur etwas zu hören: Raphael McLaren-Thompson hat zusammen mit Mitgliedern der Dauertheatersendung eine Hörspielfassung von Franz Wedekinds „Frühlings Erwachen“ aufgezeichnet, dem selben Text, der die Grundlage für das derzeit im Jungen Theater gezeigte Musical „Spring Awakening“ ist. Bei der Theaternacht gab es nur einen kleinen Eindruck, die Premiere ist für den 25. Juni geplant.

Ebenfalls in der Brotfabrik angesiedelt sind das Theater Marabu und der Tanzgenerator Bonn von Karel Vaněk und Guido Vaněk-Preuß. Letztere können an diesem Abend leider verletzungsbedingt nicht auftreten, dafür steht eine Performance der Choreographin Uta Püttmann über wildwachsene Pflanzen auf dem Programm. Da werden knackige Karotten gegessen, Wort-Assoziationen in den Raum entlassen, Körper verbogen und Geräusche erzeugt, die eine eigenwillige Dynamik entfachen. Auch hier ist das Interesse groß – bei der Auftaktveranstaltung sollen laut Vaněk-Preuß rund 70 Besucherinnen und Besucher vor Ort gewesen sein.

So faszinierend der Abend bislang war, so enttäuschend endet er. Eigentlich soll eine Burlesque-Show im Contra-Kreis-Theater für einen krönenden Abschluss sorgen, doch daraus wird nichts. Zum einen ist der Innenraum rappelvoll, mit einer Schlange bis auf die Straße, zum anderen hat wohl das vorherige Format „The Stage is yours“ deutlich später angefangen als geplant, so dass auch nach 15 Minuten völlig unklar ist, wann wer wie in den Theatersaal darf. Eine entsprechende Ansage fehlt auf jeden Fall. Schade. Aber gut, man kann nicht alles haben. Schon so gab es auf jeden Fall einige sehr aufregende Theatererfahrungen. Womit die Theaternacht ihr Ziel erfüllt hat.

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