INTERVIEW: Nikita Miller ist zwischen den Welten zuhause

Als in Deutschland lebender russischstämmiger Kabarettist hat es Nikita Miller nicht immer leicht, erst recht nicht, wenn man auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen kommt. "In der Sowjetunion waren wir die Deutschen, hier sind wir die Russen. Wir sitzen im Grunde zwischen zwei Stühlen." Im Interview erzählt er von diesem inneren Konflikt - und wie er gelernt hat, damit umzugehen.

 

Du bist in Kasachstan geboren, aber schon als Kind nach Deutschland gekommen. Diese „Zerrissenheit“ hast du in den Mittelpunkt deines aktuellen Programms „Es war einmal im Nirgendwo“ gestellt. Welcher Teil von dir ist typisch russisch – und welcher deutsch?

Das kann ich mittlerweile nicht mehr zuordnen. Ich glaube, Konflikte selbst zu lösen, statt über die Behörden, ist die typisch russische Seite. Ich glaube, als ich in Bremen am Bahnhof niedergestochen wurde, das war der Russe in mir, der beschlossen hat, gegen diesen Mann zu kämpfen, statt wegzurennen. Andererseits diese Anti-Haltung zu Gewalt, das ist die typisch deutsche Seite in mir. Die Politik mag noch so viel um sich werfen, dass wir wieder „kriegstüchtig“ sein müssen: Der Deutsche ist nicht nur materiell, sondern mittlerweile auch seelisch komplett entmilitarisiert. Der Deutsche hat verstanden, dass es schwachsinnig ist, in den Krieg zu ziehen und junge Leute zu töten, die er nicht kennt, während die Alten, die sich kennen, sich nicht einigen können. Schön, dass das auf mich abfärben konnte und ich mit Stolz sagen kann, dass ich niemals für irgendein Land jemals in den Krieg ziehen werde.

 

Wann hast du aufgehört, dich fremd im eigenen Land zu fühlen?

Diese Fremdheit wird immer ein Teil meiner Identität sein. In der Sowjetunion waren wir die Deutschen. Hier sind wir die Russen. Wir sitzen im Grunde zwischen zwei Stühlen. Der einzige Ort, wo ich mich halbwegs heimisch fühle, ist der Osten Deutschlands. Wahrscheinlich, weil die Leute dort wegen der Besatzung durch Ähnliches durch mussten. Ich bin zwischen den Welten zuhause. Oder wie man gerne sagt: Selig sind die, die kein Zuhause haben, denn sie sind zuhause.

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Du erzählst gerne von deinen Jugenderlebnissen. Was hat dich besonders geprägt?

Meine Clique. Der Großteil hat nicht getrunken, nicht geraucht. Das waren alles Boxer. Einer von uns hatte es sogar zu Manfred Wolke in die Profi-Liga geschafft, bis der Kreuzbandriss ihn abgelöst hatte. Das waren meine Idole, meine Vorbilder. Ich wollte sein wie die. Bevor ich auf diese Clique traf, hatte ich nur Probleme und war sogar in der Schule zwei Mal sitzengeblieben. Erst als ich versucht hatte, in deren Fußstapfen zu treten, wurden die Noten besser, ich wurde Leistungssportler und habe mittlerweile sogar zwei Bachelor-Abschlüsse.


Du redest über Klischees, spielst mit der Russenmafia und den piefigen Schwaben –aber zum Krieg in der Ukraine äußerst du dich zumindest in deinem aktuellen Programm nicht. Warum?

Ich habe immerzu Statements gegeben. In der „Anstalt“, beim „ZDF Comedy Sommer“, bei „Nuhr im Ersten“ und auf 3sat. Aber es stimmt, in meinem Programm spreche das nicht direkt an. Hingegen thematisiere ich Russlands Politik an sich und wie man damals mit uns Russland-Deutschen umgegangen ist, von Deportationen und Gulags und Massenhinrichtungen, wo meine Großeltern durchmusste, bis hin zu der fehlenden Aufarbeitung Russlands Vergangenheit. Überall stehen noch Statuen von Stalin, sein Geburtstag wird noch immer gefeiert und Gulags zu Gefängnissen umgebaut. Die Deutschen sind da in ihrer Aufarbeitung viel weiter. Darüber zu reden in meinem Programm hat eine weitaus größere Wirkung, die ein viel effektivere Kettenreaktion mit sich bringt, als über den Krieg per se zu sprechen.

Ich bin kein Fan des russischen Regimes und ich habe kaum positive Assoziationen mit Russland. Aber zu sagen, Russland muss sanktioniert werden, während der Genozid im Gaza unterstützt wird, halte ich für heuchlerisch. Zu mal der Westen einen massiven Beitrag dazu geleistet hat, den nahen Osten irreparabel zu zerstören und wir uns nun beschweren, dass die Opfer dieser Ruinen bei uns Zuflucht suchen.

 


Als der Krieg vor drei Jahren in eine neue Phase trat, sind ja viele russischstämmigen Künstlerinnen und Künstler angegangen worden, wenn sie sich nicht dazu geäußert und sich öffentlich von Putin distanziert haben. Wie hast du das empfunden? Und inwiefern hat sich das inzwischen geändert?

Ich hab das von allen Seiten zu spüren bekommen. Für die viele Russen und Deutschrussen bin ich der Verräter. Der Mann, der sich von den deutschen Medien hat kaufen lassen. Und viele Deutschen bin ich der Russe, der endlich abgeschoben gehört. Wobei „viele“ ein relativer Begriff ist. Es fühlt sich an, als wären es viele. Aber die große Masse tickt anders. Nichts desto trotz glaube ich, dass ich im Laufe weniger Monate über 30 Tausend Fans verloren hab.


"Das Leben ist kurz. Wenn es nicht klappt, hast du immer noch eine Geschichte zu erzählen.“


Wenn die Ukraine kein Thema ist: Worüber lachen deine russischen Fans am liebsten? Und worüber die Deutschen?

Tatsächlich habe ich gemerkt, dass die Leute bei politischen Statements nahezu explodieren. Ich mache davon kaum Gebrauch und droppe das nur so beiläufig. Aber das schlägt immerzu ein. Daran erkennt man, wie frustriert die Leute mit der aktuellen Lage in diesem Land sind. Nichts desto trotz möchte ich davon nicht zu viel Gebrauch machen. Wir wollen lachen, abschalten, vergessen, connecten.


Du schreibst auf deiner Webseite, du seist vom Gymnasium geflogen, weil du „zu russisch“ für Schiller gewesen gewesen wärest. Kannst du das erläutern?

Eine metaphorische Art zu beschreiben, wie schwer es mir gefallen war, mich in diesem Land zu integrieren. Der Kontrast zwischen Deutsch und Slawisch ist schon immens. Nicht umsonst ist Deutsch mittlerweile ein Adjektiv geworden. Hingegen Verhaltensweisen von Russen auch vielen anderen slawischen Völkern zugesprochen werden kann.


Die Liste deiner Jobs ist ebenso lang wie bunt: Du warst Türsteher und Kampfsport-Trainer, Karikaturist und Grafik-Designer, hast Kaninchenkäfig geschrubbt, die Wohnungen Verstorbener entrümpelt und über den Tod philosophiert. Ein ganz schön langer Weg bis auf die Bühne… Was hat dich letztlich zur Comedy gebracht?

Zufall… oder auch nicht. Man hatte mir mal gesagt, bleib immer in Bewegung. Keinesfalls sollte man sich arbeitslos melden, um sich selbst zu finden. Nach dem Motto „Ich brauche nur etwas Zeit und Ruhe.“ Du verfängst die dann nur in einer Spirale aus Depression und Nutzlosigkeit. Du kommst nur in der Bewegung zur dir selbst. Das ist wie Fahrradfahren: Bleibst du stehen, kippst du um. Denn egal, was du machst oder welchen Job du hast. Du lernst dort Leute kennen, die dich auf eine Idee bringen und dann ziehst du weiter und lernst dort Leute kennen, die dich auf eine  andere Idee bringen. Und so weiter. Auf diese Art wirst du dir immer mehr darüber bewusst, was du alle NICHT werden willst. Sodass dein eigentlicher Weg dir immer klarer erscheint. Und so kam ich dann zum Comedy. Ich traf auf jemanden, der mich auf diese Idee brachte und ich dachte: „Warum nicht? Ich probier’s. Das Leben ist kurz. Wenn es nicht klappt, hast du immer noch eine Geschichte zu erzählen.“


Ich beneide jeden, der ein Leben lang glücklich in seinem Job verharren kann.


Wann ist ein Auftritt für dich gut?

Das hängt mit dem Gesamtpaket zusammen. Der Saal muss stimmen. Das Ambiente. Man muss sich einfach mit den Gegebenheiten vor Ort wohlfühlen.  Dass das Publikum mitzieht sehe ich arroganterweise schon fast als gegeben, da sie mich ja kennen und wegen MIR in diese Show kommen.


„Schlimm wird es erst, wenn du stehen bleibst“, schreibst du auf deiner Webseite. Aber wo willst du überhaupt hin?

Das ist eine gute Frage. Die Seele weiß es. Der Kopf will es noch nicht begreifen. Man folgt einfach seinen Neigungen, reibt sich daran, wächst daran und wenn man das Gefühl hat, man ist in dieser Gegebenheit erwachsen, dann zieht man weiter. Das bedeutet nicht, dass du jetzt der Beste in deinem Metier bist, sondern, dass du nicht mehr viel besser werden kannst. Nicht umsonst werden viele Comedians plötzlich Autoren oder Schauspieler. Oft sogar umgekehrt. Ich beneide jeden, der ein Leben lang glücklich in seinem Job verharren kann. Ich glaube, da ticke ich wie ein Soldat. Frieden ist für mich verwirrend. Stillstand.

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