Sebastian Krämer: Die Poesie der Travestie

Die Melancholie der Liebe und die Absurdität des Alltags: Diese beiden Charakteristika ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk von Sebastian Krämer. Der 49-Jährige ist ein begnadeter Chansonnier, der mit traurigem Ton und verschmitztem Lächeln über das Leben singt, ganz ohne rosarote Brille. Die würde ihm auch nicht stehen. Seine ist eher mitternachtsblau, ideal für einen Künstler, der Satiriker und Romantiker zugleich ist. Im Haus der Springmaus hat der Wahl-Berliner nun „Liebeslieder an deine Tante“ gesungen. Und ein paar traurige Kinderlieder.

Sebastian Krämer ist ein Musiker für Liebhaber, ein Künstler, der innerhalb der Branche bekannter ist als in der breiten Masse (was überaus bedauerlich ist und auch in der Springmaus dazu führt, dass viele Plätze frei bleiben). Unter Kollegen genießt Sebastian Krämer auf jeden Fall einen hervorragenden Ruf: Eckart von Hirschhausen nannte ihn gar in einem Atemzug mit Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz und Georg Kreisler. Den Sprachwitz teilt Krämer zweifelsfrei mit den Genannten, doch hat er noch mehr zu bieten als schwarzen oder absurden Humor. Das alleine wäre viel zu plump für ihn, auch wenn er sich in seinen lyrischen Ergüssen mitunter in eine Mettwurststulle verbeißt oder eine Telefonlieder-Trilogie vorträgt. Er selbst bezeichnet seine Kunst als „Gedanken-Travestie“ im literarischen Sinne, eher als Persiflage denn als Parodie, vor allem wenn er sich mit der Vertonung von Gedichten beschäftigt. Vor allem Vladimir Nabokov hat es ihm angetan, unter anderem dessen Roman „Fahles Feuer“, aber auch mit Karl Otto Mühl setzt er sich auseinander. Einfach, weil er es kann. „Ich habe mich aus allen Diskursen zurückgezogen“, sagt Krämer, und dazu gehört auch der über den Geschmack. So lange er etwas gut findet, ist alles in bester Ordnung.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



Sorgen müsste sich Krämer aber ohnehin nicht machen. Das Publikum ist schließlich ganz auf seiner Seite, ob er nun vom Tod und von der Elektrizität singt (in extremen Fällen gehört beides zusammen), von einer Séance oder einem Affen (oder einer Séance für einen Affen?) erzählt oder die einzige Sehenswürdigkeit Vlothos mit einem Horror-Blues würdigt (es handelt sich um eine besondere Bahntrasse). Noch schöner klingt es, wenn Krämer schwermütig wird: „Ich hab noch etwas Traurigkeit im Herzen“, klagt er dann oder stimmt ein Lied für all die Nicht-Verliebten an. Auch die haben schließlich ein Anrecht auf Sebastian Krämer. Und dann wäre da noch „Wenn du mich verlierst“, eine Ballade mit eindeutigen „Ne me quitte pas“-Anleihen, die so wunderbar entspannt daherkommt und auf ganz unterschwellige Weise einen augenzwinkernden Gegenentwurf zu besagtem Chanson herstellt. Besser kann eine Umwidmung kaum gelingen.

Für die einsam Liebenden und die bittersüß Traurigen hat Sebastian Krämer zahlreiche Lieder im Gepäck. Doch noch eine andere Zielgruppe hat er für sich entdeckt: Kinder. Die haben schließlich auch das Recht auf melancholische Musik, und die gibt es nun einmal weder bei „My Little Pony“ noch bei „Paw Patrol“ oder sonstigen Reihen, ganz zu schweigen von dem klassischen Repertoire mit all den Bewahre- und Behüte-Liedern. Das will Krämer ändern. Und zwar subversiv, mit einer herrlichen Melodie, einem sinnentleerten Kehrvers („Taumeli Taumi Taumi dau“) – und mit einer Warnung vor den Gefahren von Bettwäsche, die so auch im Struwwelpeter ihren Platz hätte finden können. Beim Publikum kommt dieser Versuch auf jeden Fall hervorragend an. Am Ende erhält Krämer insofern völlig zu Recht herzlichen Applaus.

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