
Die Vorzeichen versprachen einen düsteren Abend: Laut Programm hätten The Tiger Lillies bei ihrem Konzert im Pantheon eigentlich ihre aktuelle Platte „Lessons of Nihilism“ sowie das von Horrorautor H.P. Lovecraft inspirierte Konzeptalbum „Mountains of Madness“ in den Mittelpunkt stellen müssen. Doch daran hat sich das verrückt-morbide Trio mit den diabolisch geschminkten Clowngesichtern nicht gehalten, aus welchen Gründen auch immer. Stillschweigend haben sie di9e Geschichten über den dunklen Gott Cthulhu aus dem Programm verbannt und stattdessen für 90 Minuten in ihre Best-of-Kiste gegriffen, was vor allem für die langjährigen Fans der Vaudeville-Punker fantastisch war. Aber auch ein bisschen enttäuschend.
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Natürlich haben sich The Tiger Lillies um Falsett-Sänger Martyn Jacques in den vergangenen 35 Jahren stets Erwartungen widersetzt und ihr eigenes Ding durchgezogen. In Anlehnung an die Kunstmusik von Bertolt Brecht und Kurt Weill, aber auch mit deutlichen Bezügen auf Nick Cave, spielen er sowie seine Band-Kollegen Adrian Stout (Bass) und Budi Butenop (Schlagzeug) melancholische Zirkusmusik und mitternachtsschwarze Couplets, die sich mit der Schattenseite der Gesellschaft befassen, mit Sucht, Tod und Blasphemie. „We live in darkness“, betonen sie irgendwann, bevor sie das Publikum in die kalte Nacht von Soho entführen und die Nägel in Jesu Kreuz einschlagen („Banging in the Nails“) – letzteres die mit Abstand größte Provokation des Abends und der Moment, in dem The Tiger Lillies am deutlichsten ihre Nähe zum Punk zelebrieren. An diesem Abend regt sich darüber aber keiner auf, und selbst wenn, wäre dies Martyn Jacques nur recht; in einem Interview sagte er einmal, dass er es stets lustig fände, wenn sich Menschen von seiner Kunst angegriffen fühlten, schließlich sei er nur ein Entertainer. Womit dazu alles gesagt wäre.
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Auch wenn bei der inhaltlichen Ausrichtung durchaus ein paar Fragen unbeantwortet bleiben, ist der Abend mit den Tiger Lillies musikalisch und atmosphärisch gesehen ein Genuss. Die extrem hohe Singstimme von Jacques bildet einen faszinierenden Kontrast zu dem dunkel swingenden Sound aus Akkordeon, Bass und Drums und den mitunter expressiven Grimassen (vor allem von Butenop) – die Nähe zur Freakshow ist durchaus beabsichtigt. Dementsprechend begeistert zeigt sich das Publikum. Und Cthulhu? Wird an einem anderen Tag wiederkehren.
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