
Jeder Zaubertrick braucht eine Geschichte. Jede gute Suggestion auch. Sie verleiht den Manipulationsversuchen der Mentalisten Kontext, erweckt Bilder und andere Sinneseindrücke. In seiner neuen Show „experiMENTAL“ greift Timon Krause dies auf und dreht den Spieß um: Er lässt das Publikum erzählen und modifiziert seine Nummern so, dass sie zum jeweiligen Gast passen. Voraussetzung ist natürlich, dass das Publikum mitspielt. So wie in der Springmaus. Dort hat Krause gleich zweimal vor ausverkauftem Haus gespielt und die Menge verblüfft, dank mehr oder weniger freiwilliger Unterstützung aus dem Saal – und einigen überaus unterhaltsamen Beichten.
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Im Grunde sind Krauses Tricks nicht neu. Mal läuft er mit zugeklebten Augen auf der Suche nach einem Luftballon durch den Saal und lässt sich dabei von unwillkürlichen Signalen seiner Assistentin leiten, dann wieder lässt er einen Gast Gegenstände erfühlen, die gar nicht da sind. Und natürlich errät er permanent Geheimnisse und bemerkt Lügen. Kein Wunder, zählt er doch zu Europas besten Mentalisten. Ihm kann man nichts vormachen, da sind Geheimnisse wie rosa Elefanten: Wenn man nicht an sie denken soll, tut man es erst recht. Auch Trinkspiele wie „Meiern“ beziehungsweise „Mäxchen“ sind mit ihm nicht zu empfehlen, wie die junge Franzi feststellen muss, als sie von einem unschönen Date mit zu viel Jägermeister erzählt und prompt gegen Krause antreten muss. Der ist als wandelnder Lügendetektor offenbar deutlich zuverlässiger als ein modularer Synthesizer, den sein Keyboarder Henning Neidhardt (Schlagzeuger Kevin Wolf ist der Dritte im Bunde) gebaut hat, um das Biofeedback eines Kaktus in Töne umzuwandeln und um das Lied hörbar zu machen, an das eine Frau aus dem Publikum gerade denkt. Oder an den sie glaubt, zu denken. Oder gedacht zu haben. Bei Mentalisten weiß man das nie so genau.

Timon Krause hat es auf jeden Fall leicht: Schon allein durch die Erzählungen jener, die ihre eigenen Geschichten bereitwillig teilen. Schon vor Beginn der Show hat Krause sie dazu aufgefordert, diese aufzuschreiben und in eines von vier Kästchen zu legen (Die Kategorien: „Beichte“, „Dating Fails“, „Party-Tricks“ und „Bin ich ein Arschloch“), was zu einigen überaus amüsanten Berichten führt. Der Höhepunkt ist das Geständnis von Christine, als Kind aus Rache für eine nicht erfolgte Geburtstagseinladung Weberknechte in ein Päckchen gesteckt und als Geschenk überreicht zu haben. Ein diabolischer Plan, aus dem Krause aber leider zu wenig macht. Die schnöde Luftballon-Nummer ist für eine so großartige Geschichte eigentlich zu banal. Aber sie funktioniert halt jedes Mal, und das ist bei diesem Programm offenbar wichtiger als alles andere. Das Publikum goutiert die Nummer – so wie ohnehin den gesamten Abend auf jeden Fall mit tosendem Applaus.
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