Weihnachtscircus: Artistik mit Netz und doppeltem Boden

An diesem Nachmittag sind Flying Martini besonders froh über Netz und doppelten Boden. Gleich viermal stürzen die chilenischen Flugakrobaten im Zelt des Bonner Weihnachtscircus ab, während sie mutig durch die Luft in Richtung Fänger springen. Und das bei der Vor-Premiere im Beueler Ortsteil Pützchen. Aber gut, das kann den Besten passieren, und spätestens seit der Verleihung des silbernen Clowns des Circus-Festivals von Monte Carlo kann man das Septett durchaus zu diesem illustren Kreis rechnen. Außerdem gelingt ja auch einiges, unter anderen der legendäre dreifache Salto Mortale – was natürlich prompt (und völlig zu Recht) beim überaus jungen, dankbaren Publikum Jubelstürme auslöst. Dabei ist der Sprung nur eines von mehreren Highlights. Auch wenn noch Luft nach oben ist.

Der Bonner Weihnachtscircus ist längst eine Institution, die Akrobaten und Artisten aus aller Welt in die Bundesstadt lockt. Wie üblich sind die klassischen Kunstformen des Circus vertreten: Ein tschechischer Gleichgewichtskünstler trifft auf eine marokkanische Menschenpyramide und ein italienischer Lufttuch-Performer, von dem das Auge leider durch den parallelen Auftritt der Dolly Power Dancers abgelenkt wird, auf eine hektische ungarische Zauberkünstlerin mit hinlänglich bekannten Illusionen. Der äthiopische Jongleur Abraham Dereje, der seine Bälle in Richtung Boden statt in die Luft wirft und dadurch ein enormes Tempo erreicht, sorgt derweil ebenso für Begeisterung wie der Einradfahrer Steven Carroli, und natürlich ist auch Clown Totti bei Alt und Jung beliebt, nicht zuletzt weil er in seinem ganzen Habitus an Heinz Erhardt erinnert. Und dann wäre da noch die Hundedressur von Sandro Montez hervorzuheben, insbesondere deshalb, weil er mit den Tieren unglaublich spielerisch arbeitet und diese zu nichts zwingt, sondern ihnen gewisse Freiheiten lässt. Für sie ist der Auftritt in der Manege ein perfekter Workout von Kopf und Körper, und so skeptisch man auch auf Tiernummern im Zirkus blicken kann, gibt es in diesem Fall keinen Grund zur Kritik.

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Dennoch sind die echten Höhepunkte andere: Der Auftritt von Diabolo-Künstler Tony Freibourg zum Beispiel, der die Höhe des Zeltdaches ausnutzt und seine sich drehenden Doppelkegel etliche Meter in die Höhe katapultiert, wenn er nicht gerade Selbstmorde begeht (so nennt man Tricks, bei denen einer der Handstöcke losgelassen wird), ist atemberaubend gut, während die Nummer des Skywalker-Duos Salazar vor allem durch ihre Seltenheit glänzt. Schließlich sieht man nur selten, wie zwei Menschen kopfüber hängend an Streben entlanglaufen und ihre Füße vorsichtig in entsprechende Schlaufen stecken. Hier gibt es übrigens weder Netz noch doppelten Boden.

Die eindrucksvollste Darbietung ist allerdings der Auftritt der Adem Dance Crew aus Kirgisistan. Die vier Breakdancer erzählen mit bemerkenswertem Körpereinsatz die Geschichte eines Diebs, der von drei zum Leben erweckten Statuen bedroht wird. Die Bewegungen von Samurai, Pharao und Charlie Chaplin wirken dabei völlig unnatürlich, mechanisch, künstlich: Da stehen auf einmal die Schulterblätter sichtbar heraus, verdrehen sich Wirbelsäulen, werden Figuren über alle Grenzen biegsam. Dieses beeindruckende, perfekt durchchoreographierte Spektakel aus Kontorsion, Locking und Popping auf höchstem Niveau ist wahrlich atemberaubend – schon allein dafür lohnt sich ein Besuch des Bonner Weihnachtscircus.

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