Gossip: Streitbare Powerfrau

Im Grunde haben wir es schon immer gewusst: Gossip sind in Wirklichkeit Korn. Oder umgekehrt? Ist auch egal. Der Beweis ist beim Auftritt von Sängerin Beth Ditto und ihren Mitstreitenden auf dem Bonner KunstRasen auf jeden Fall unübersehbar. Mitten auf der Base-Drum prangt noch immer der Schriftzug der legendären Nu-Metal-Band, und so etwas ist in der Regel eines der wichtigsten Identifikationsmerkmale im Musikgeschäft. Damit spielt man nicht. Gossip aber schon, vor allem wenn sich so eine Gelegenheit bietet wie in der Gronau: Offenbar hat Drummer Ray Luzier besagte Trommel nach dem Konzert am Montag einfach stehen gelassen, und Gossip haben natürlich zugegriffen. So viel Spaß muss sein, das ist in der Persönlichkeit von Ditto schon routinemäßig angelegt. Gleiches gilt für ihre Soul-Stimme, ihr Charisma – und ihre Streitbarkeit.

Selbstverständlich ist der Auftritt der Band keineswegs. 2016 hatte sich das Trio in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst, damit sich Ditto, die sich selbst einst als „fette, feministische Lesbe aus Arkansas“ beschrieben hat, ihrer Solo-Karriere und einer Mode-Kollektion widmen konnte. Mit einer Reunion hatte lange keiner gerechnet, mit einem neuen Album – das letzte erschien 2012 – ebenfalls nicht. Im vergangenen Jahr überraschten Gossip, inzwischen zum Quintett gewachsen, mit „Real Power“ und der dazugehörigen Tour, die jetzt eben auch in die Rheinauen geführt hat. Doch obwohl Gossip und vor allem Beth Ditto in der LGBTQI-Szene als Ikonen gelten, scheint der Rest der Welt nur eingeschränktes Interesse an ihrer Musik zu haben, die sich im Spannungsfeld von Disco, Rock, Punk und Soul bewegt. Die Menge auf dem Platz ist überschaubar, der Veranstalter spricht von 2000 Besucherinnen und Besuchern. Dabei hätten Gossip durchaus mehr verdient, denn was die Band abliefert, ist aller Ehren wert.

 

Unglaublich energiegeladen spielt sie sowohl Klassiker wie „Move in the Right Direction“ mit seinen Retro-Synthi-Disco-Sounds, „Heavy Cross“ oder das punkige „Jason’s Basement“ als auch neue Titel wie „Crazy Again“ oder das schön rockende „Turn The Cards Slowly“. Gut, ein bisschen mehr Wumms wäre schon schön gewesen, etwas mehr Glitter und etwas mehr Schärfe (der Sound klingt mitunter ein bisschen dumpf), aber Spaß macht die Musik allemal. Das liegt natürlich vor allem an Beth Ditto: Die Wuchtbrumme im knappen schwarzen Body, mit orangefarbener Perücke und ausdrucksstarkem Make-Up ist eine Erscheinung, eine Frau, die jeder Art von Body Shaming den Stinkefinger zeigt und mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Ausstrahlung ebenso begeistert wie mit ihrer phänomenalen, wandlungsfähigen Stimme, die glasklaren Pop ebenso bewältigt wie dreckigen Bluesrock, die röhren und tirilieren kann, hypnotisieren und vibrieren.

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Dass die 43-Jährige sich nicht den Mund verbieten lässt, ist angesichts dieser Qualitäten kein Wunder. Und das gilt nicht nur bei der Musik, sondern auch bei ihren Anekdoten und Ausführungen, mit denen sie das Publikum unterhält. Mal bedankt sie sich bei ihrer Bonner Gastfamilie, dann wieder holt sie eine tanzende Seniorin zu sich auf die Bühne. Das gefällt nicht jedem: Eine Frau in der ersten Reihe fordert Ditto irgendwann auf, die Klappe zu halten und lieber zu singen. Doch da ist sie an die Falsche geraten. Ditto holt zu einer Schimpftirade aus, die sich gewaschen hat, und gibt sich in diesem Moment nicht abgeklärt, sondern wirklich aufgebracht. Am Ende fordert sie die Frau auch noch auf, zu ihr auf die Bühne zu kommen – und die nimmt an. Was folgt, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten, und das trotz der vorherigen verbalen Entgleisungen: Schon die verzweifelten Tanzversuche der Besucherin wirken lächerlich, und als Beth Ditto ihr ein Duett anbietet, grenzen die ausgestoßenen Töne an Körperverletzung. Der einzige Pluspunkt ist, dass es nun nur noch aufwärts gehen kann, mit „Coal to Diamond“, mit „Standing in the Way of Control“ und letztlich mit „Heavy Cross“. Das restliche Publikum ist denn auch begeistert und bejubelt Gossip, die immer noch zu elektrisieren verstehen. Man muss sie halt nur machen lassen.

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