Achtung, hier bin ich: Wer auf dem KunstRasen tatsächlich noch nicht wissen sollte, wer an diesem Abend auf der Bühne steht, der muss nur bei den ersten Songs etwas genauer hinhören. Schließlich liebt es Jason Derulo, sich selbst zu besingen und sich entsprechend zu inszenieren. Auf den Plakaten zu seiner „Nu King World Tour“ (der Titel soll sich laut Derulo allerdings auf seinen zweijährigen Sohn Jason King beziehen) posiert er noch mit goldener Dornenkrone – dagegen ist das Leder-Outfit, mit dem sich der 34-Jährige in der Gronau präsentiert, geradezu verhalten. Dafür gibt es Feuerfontänen, Lichtexplosionen und etliche laszive Tanzeinlagen, vereint in einer perfekt durchchoreographierten Show, die das Publikum von der ersten Sekunde an mitreißt. Und dennoch Fragen aufwirft.
Es steht außer Frage, dass Derulo ein Superstar ist, mit Millionen Followern in den sozialen Medien und noch mehr verkauften Tonträgern (die von manchen Agenturen und Veranstaltern kolportierte Zahl von 250 Millionen Tonträgern lässt sich allerdings nicht belegen; sonst wäre Derulo erfolgreicher als Taylor Swift). Auch die Liste der Künstlerinnen und Künstler, mit denen er bislang kollaboriert hat, kann sich sehen lassen und umfasst mit Nicki Minaj, Pitbull, Birdman, Lil Wayne und Diddy alias Sean Combs einige der wichtigsten Hip-Hop-Stars der Gegenwart. Und so dürfte es nicht überraschen, dass Derulo zwar noch nicht auf dem Olymp ist, aber bereits auf einem guten Weg dahin. Umso mehr überrascht es, dass der US-Sänger den KunstRasen nicht ausverkauft hat; bei knapp 6000 Besucherinnen und Besuchern ist durchaus noch Luft nach oben. Die können sich dafür – nach einer rund 20-minütigen Verspätung des Künstlers – über ein beeindruckendes Spektakel freuen, bei dem alles an Technik aufgefahren wird, was sich auf der Bühne realisieren lässt. Ohne diese wäre das Phänomen Jason Derulo, dessen Begeisterung für den Perfektionismus und die Dramaturgie Michael Jacksons unübersehbar ist, übrigens wahrscheinlich gar nicht denkbar. Schließlich muss alles sitzen, das Licht, die Bewegungen, der Gesang. Dass dabei nicht jeder Ton live erklingt, ist wahrscheinlich ein Kollateralschaden. Andererseits schraubt Derulo sich etwa bei „Love Tonight“ in schwindelerregende Höhen, jubiliert im Falsett und sorgt tatsächlich sowohl für einen der wenigen Ruhe- als auch einen der musikalischen Höhepunkte. In diesem Moment ist der Sänger allein, wird mal nicht von Tänzerinnen und Tänzern umschwärmt und ist ganz bei sich. Geht doch.
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A propos Tänzerinnen: Die knapp bekleideten Schönheiten, die immer wieder ihren Hintern in Richtung des Publikums wackeln lassen müssen, während geifernde Männer sie umschwärmen, sind das schwächste Glied des Abends – nicht, weil sie nicht tanzen können, sondern vielmehr weil ihre Bewegungen einen höchst fragwürdigen Sexismus offenbaren, den Jason Derulo mit Songs wie „Wiggle“ („'Cause you know what to do with that big fat butt“) oder „Talk Dirty“ auch inhaltlich propagiert. Ob das zu modernem R&B gehören muss, sei dahingestellt, zumal Derulo im Intro von „Don’t Wanna Go Home“ mit einem knisternden Duett aus tanzenden Schatten eindrucksvoll beweist, wie es auch anders gehen kann. Das Publikum jedoch scheint das exzessive Twerking zu lieben und johlt nur an einer Stelle noch lauter, als nämlich Jason Derulo ausgerechnet bei „Want To Want Me“ sein Shirt auszieht und seinen durchtrainierten Oberkörper präsentiert. Was dann auch das Finale war, nach gerade einmal 90 Minuten und insgesamt 26 Titeln. Ob es das wert war? Das muss letztlich jeder selber entscheiden.
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